Im Gespräch mit dem Pianisten und Komponisten aus Weimar
Das erste Mal habe ich Martin Kohlstedt auf der Audio Invasion im Leipziger Gewandhaus spielen gehört. In einem großen Saal voller Menschen schien er völlig in das konzentrierte Spiel auf seinen Instrumenten und in seine improvisierten Melodien vertieft und dennoch auf faszinierende Weise mit jedem Einzelnen im Publikum verbunden. An diese ganz besondere Atmosphäre im Konzertsaal erinnere ich mich noch gut.
Nun bin ich gespannt auf das Treffen mit dem Thüringer Komponisten. In seiner Heimatstadt Weimar empfängt mich Martin am Bahnhof, wo wir uns zwischen ankommenden und abfahrenden Zügen in Aufbruch-Stimmung begeben und darüber sprechen, weshalb das Reisen ein essentieller Bestandteil von Martins Arbeit ist, wie seine Kompositionen entstehen und welche Rolle seine Heimat Thüringen für ihn spielt.
Martin, was war der erste Tonträger, den Du Dir gekauft hast?
Ich wage zu behaupten, dass das Liquido mit Narcotic war. Das war damals der Hit.
„Ich mag es, wenn alles intuitiv und unterbewusst passiert.“
Was kann für Dich persönlich Musik, was andere Ausdrucksformen nicht können?
Musik ist eine sehr vielschichtige Kommunikationsart und funktioniert für mich als „Werkzeug“ zum Ausdruck am besten. Ich mag es, wenn alles intuitiv und unterbewusst passiert. Dafür ist Musik sehr geeignet. Es geht nicht ums Auge und all die Informationen, die uns jeden Tag entgegenkommen, sondern um das Ohr, das viel offener ist.
Kannst Du beschreiben, wie Deine Kompositionen entstehen?
Ich habe erst mit zwölf angefangen Klavier zu spielen und damals einzelne Töne im Sekundentakt gespielt, was man noch gar nicht als Musik bezeichnen kann. Ganz langsam, fast mathematisch – das hat mich sehr beruhigt. Immer mehr Kleinigkeiten kamen dann hinzu und manche Stücke sind so über zehn oder zwölf Jahre entstanden. Andere Stücke dagegen über eine Nacht. Die kommen aber meist aus dem Nichts. Es ist nie etwas aktiv angeschoben von mir.
Im letzten Jahr hast Du in der Elbphilharmonie gespielt. Woran erinnerst Du Dich, wenn Du an den Tag zurückdenkst?
An diesem Tag ist irgendwie alles völlig von allein passiert. Wir kamen dort hin und alles hat perfekt funktioniert. Da war eine ganz positive Energie. Mein Team und ich haben das Konzert als Abschlussfeier genossen, weil es der letzte Auftritt der großen Tour war. Da hat es an diesem Tag alles freigesetzt. Meine ganze Familie war mit da und es war ein absoluter Traum.
Aktuell bist Du auch wieder viel unterwegs. Bist Du gerne unterwegs und was erwartet Deine Besucher auf Konzerten?
Für mich ist es wirklich grundlegend, dass ich gerne unterwegs bin. Das Reisen ist eine sehr wichtige Inspirations- und Reflexionsschleife für das, was ich tue. Aus den verschiedenen Menschen, Mentalitäten und Momenten, denen ich begegne, nehme ich viel für mich wieder mit zurück. Deswegen ist es auch so, dass ich die Touren nicht an einem Stück spiele, sondern über das ganze Jahr verteilt.
Und was Erwartet den Besucher? Es ist immer anders. Manchmal spiele ich in einer klassischen Halle wie der Elbphilharmonie und manchmal auf einem Hausdach auf einem Industrial Festival in Russland. Ich spiele draußen in der Natur, gleichzeitig aber auch im Theater und in Clubs. Es wird gerade viel experimentiert, wann ein Konzert wie funktioniert. Optimaler Weise kommt dabei der Besucher mit sich selbst in Kontakt. Das versuche ich auch immer bei mir und möchte den Gegenüber ein bisschen dazu anstiften.
„Optimaler Weise kommt bei einem Konzert von mir der Besucher mit sich selbst in Kontakt.“
Warum sollten die Menschen mehr Zug fahren?
Ich finde das Wort „öffentliches Verkehrsmittel“ sehr interessant. Mir gefällt, dass man in der Reibung mit all seinen umgebenden Personen, Mentalitäten und verschiedenen Orten eine Reise beschreitet und Dinge, auch unterbewusst, aufnimmt. Man ist ziemlich geerdet da in der Mitte des Geschehens und hat trotzdem seine eigene Blase.
Was lernst Du gerade, was Du noch nicht so gut kannst?
Eine Firma zu führen. Weil ich mit der Musikindustrie, wie sie gerade funktioniert, nicht einhergehen konnte, blieb mir nichts Anderes übrig, als mein eigenes Label zu gründen.
Was bedeutet Erfolg für Dich?
Erfolg ist kein wichtiges Wort für mich. Erfolg bedeutet für mich, dass die Übertragung von mir zu den Menschen durch meine Musik funktioniert. Das erkenne ich an dem Feedback, das ich bekomme. Aber nicht an den Kritiken, sondern an den kleinen Schaltern, die ich bei den Menschen umlegen kann, wenn ich spiele. Im Grunde mache ich nichts Anderes als therapeutisch an mir selbst herum zu suchen und genau das im Gegenüber auch auszulösen. Daraus entsteht ein großes Vertrauen. Vielleicht ist das Wort Vertrauen mein bestes Synonym für Erfolg.
Du in drei Worten.
Intuitiv, Unsicherheit – daraus zehre ich – und vorwärts.
Deine Musik in drei Worten.
Intuitiv, fließend und unterbewusst.
„In Weimar hat man noch sehr viel Zeit und Reaktionsraum, in dem man alles vor sich hin reifen lassen kann.“
Was bedeutet Weimar für Dich?
Zuerst bin ich hier zuhause. Nicht nur in Weimar, sondern auch im Eichsfeld. Gleichzeitig ist es aber auch die regionale Art und Weise, die Dinge walten zu lassen, ob in der Natur oder mit der Zeit, die mich fasziniert. Hier hat man noch sehr viel Zeit und Reaktionsraum, in dem man alles vor sich hin reifen lassen kann. In einer größeren Stadt wäre das so nicht möglich. Diese Freiheit genieße ich sehr.
Vielen Dank, Martin Kohlstedt, für das Interview.
Fotos von Anne Schwerin.