Hans Rusinek vom Transform Magazin über spielende Erwachsene und Mandalas
Dinge, an denen du merkst, erwachsen geworden zu sein: Der Metzger bietet dir keine Scheibe Wurst mehr an, die Tanten wollen nicht mehr wissen, was dein Lieblingsdino ist und der Zahnarzt lobt dich nicht mehr für deine Tapferkeit. Und vorbei ist das Kindsein. Doch nun scheinen sich viele Erwachsene das verlorene Terrain zurück zu erkämpfen.
Filme wie „Alles steht Kopf“ oder „Toy-Story 3“ ziehen ein überraschend erwachsenes Publikum an und in den USA gaben 78% der Erwachsenen beim Kauf von Kinderbüchern an, dass diese eigentlich für sie selbst gedacht seien. Dort drüben sollen jetzt auch Ferienlager für Erwachsene en vogue sein. In meiner WG konnte ich jüngst die Mitbewohnerinnen dabei beobachten, wie sie höchstkonzentriert in angestrengter Stille an ihren Malbüchern saßen. Eine angehende Investmentbankerin malte einen Wolf bunt aus (sic!).
„Erwachsene kaufen Kinderspielzeug. Laut Telegraph steigen die Absatzzahlen für Malbücher jedes Jahr um 300%.“
“Peter-Pan-Markt” nennt sich dieses Phänomen. Es besteht darin, dass die Altersstruktur für eine bestimmte zusammenhängende Gruppe von Gütern einen deutlichen Wandel erlebt oder banal gesagt: Erwachsene kaufen Kinderspielzeug. Laut Telegraph steigen die Absatzzahlen für Malbücher jedes Jahr um 300%. Eines davon “Secret Garden: An Inky Treasure Hunt and Coloring Book“ wurde 2013 in der ersten Auflage vom Verlag pragmatische dreizehntausendmal gedruckt. Im Sommer 2015 wurde es bereits 2 Millionen mal gekauft. Die beiden Top-Malbücher gingen 14 Mio. mal über die Theke. Das ist soviel wie der Klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“ seit seinem Erscheinen 1979 verkauft wurde.
„Soweit die Empirie. Doch was sagt uns dieses bemerkenswerte Phänomen? Und sollten wir es anprangern oder gutheißen?“
Spielt sich Deutschland kaputt?
Beinahe aufdringlich bietet sich hier die kulturpessimistische Interpretation an: Der Untergang der Sitten! Man könnte marktschreierisch in den Raum werfen, dass eine Infantilisierung stattfinde. Dafür könnte man, wie im New Yorker zu diesem Thema geschehen, die Psychologin Susan Jacoby bemühen. Ein Satz wie ein Fallbeil: “I think this is a general decline of people not wanting to do things that require effort”. Der Satz stammt aus ihrem Buch mit dem strafenden Titel “The Age of Unreason”.
Der verhätschelte Erwachsene flüchtet aus seiner ohnehin brüchigen Realität in das Malbuch, den Zeichentrickfilm, das Lego-Set. Mit dieser Interpretation wäre uns ein Platz sicher auf der leicht verstaubten Bühne des Untergangschors zwischen den Ulfkottes und Sarrazins. Der Refrain ist leicht gelernt. Er lautet, dass “wir” uns zu kaputt schuften, helfen, zahlen, studieren usw. usf. Diesmal käme der Volkstod eben in Form des Spiels angeschlichen: “Deutschland spielt sich kaputt”. Es declinet sich eben ganz generally, vermutlich schon seit 1789.
Spielen gegen das System?
Doch sollten wir in dem Spiel nicht etwas Positives und Willkommenes sehen? In unserer “Erwachsenenwelt” unterwerfen wir uns, teils gewollt, teils wieder nicht, einem sich zunehmend ausbreitenden Optimierungsdrang. Alles muss funktionieren. Du networkst in deinem Freundeskreis, liest ein Buch für deine Softskills, du verwaltest dein Ich. An der Uni sagte man mir im „Career Center“, dass ich eine Sportart für meinen Lebenslauf machen sollte, am besten einen Teamsport oder Marathon. Alles ordnet sich einer Funktion unter, nichts ist also mehr Spiel. Auch dem Kind wird die Kindheit ausgetrieben. Denn was „Spiel“ ist, entpuppt sich häufig als Begabungssteigerung oder Begabungsanalyse. Diesem folgt die Denunzierung des „Kindischen“ im Erwachsenen. In diese Denkweise passt auch die oben genannte kulturpessimistische Interpretation, die ja bemängelt, dass „wir“ unser Humankapital im Spiel verschwenden, dass wir dann also nicht richtig funktionieren.
„In unserer “Erwachsenenwelt” unterwerfen wir uns, teils gewollt, teils wieder nicht, einem sich zunehmend ausbreitenden Optimierungsdrang. Alles muss funktionieren.“
Wenn diese Optimierung also das Gebot der Stunde ist und der Spielende behandelt wird wie ein Ketzer, dann löst Spielen eine Genugtuung über die nicht-unterworfene Wirklichkeit aus. Im starken Kontrast zu dem Optimierungsgeheische eröffnet nun das Spiel einen Freiraum. Wir sollten also die Petra und Peter Pans dafür loben.
Nun liegt dafür wieder eine Interpretation nahe, zu nahe: Die etwas vulgärmarxistische, die besagt, das Spiel sei eine antikapitalistische Aktion. Doch diese Interpretation greift nicht tief genug. Denn erstens ist das Spiel älter als der Kapitalismus und zweitens ist auch der Drang zur Selbstoptimierung nicht allein dem Kapitalismus inhärent. Wohl wird er in unserem System, wie es so schön heißt, inzentiviert. Trotzdem, dieser Drang besser zu funktionieren ist zutiefst menschlich und gescheiterte Gegenentwürfe zum Kapitalismus können uns von seiner Hartnäckigkeit berichten. Mindestens genauso bemerkenswert wie dieser Optimierungsdrang ist aber auch ein gleichzeitiges Unwohlsein dabei. Wir empfinden diesen Drang sehr wohl oft als absurd, während wir munter weitermachen. Warum? Dafür ist ein Exkurs vonnöten.
Ernstes Planen – absurde Realität
In seinem Essay The Absurd geht Thomas Nagel das Thema Optimierungsdrang gewissermaßen von hinten an. Er beginnt mit der Frage, warum wir eigentlich manchmal das Gefühl haben, dass unser Leben so absurd erscheint, warum wir oft also eine schleichende Unbehaglichkeit empfinden z.B. wenn wir in den Sternenhimmel schauen oder uns unserer Vergänglichkeit bewusst werden (Nagel hat ein Faible für solche Fragen: In einem anderen Werk fragte er sich, wie es ist eine Fledermaus zu sein).
„Wir arbeiten uns mit kaufmännischer Ernsthaftigkeit an einem Leben ab, dessen objektiver Sinn unser Denken einfach übersteigt. Wir unterwerfen uns und unsere Umwelt eben jenem besagten Optimierungsdrang ohne zuletzt sagen zu können, wofür.“
Das Leben erscheint absurd, so Nagel, weil wir es so verdammt ernst nehmen, ohne, dass wir den letzten Grund für unser Tun kennen oder beweisen können. Wir arbeiten uns mit kaufmännischer Ernsthaftigkeit an einem Leben ab, dessen objektiver Sinn unser Denken einfach übersteigt. Wir unterwerfen uns und unsere Umwelt eben jenem besagten Optimierungsdrang ohne zuletzt sagen zu können, wofür. Wie Charlie Chaplin, der über die immer gleiche Bananenschale fällt, gehen wir unser Leben an. Charlie Chaplin macht dabei auch dieses verdammt ernste Gesicht und genau dies macht die Szene erst so absurd. Ständiges bierernstes Optimieren bei gleichzeitiger Sinnleere gleich Absurdität.
Nun mag es sein, dass dies im Kapitalismus besonders deutlich zu Tage tritt. Ihm eigen ist diese Absurdität aber nicht. Sie ist zutiefst menschlich und deshalb können wir uns diese das Absurde auslösende optimierende Ernsthaftigkeit nicht ganz verbieten. Wir müssten uns dann ganz animalisch geben. Diese nihilistische Scheiß-egal-Haltung wäre vieles andere, aber nicht absurd. Gleichzeitig können wir uns auch nicht zwingen, nicht nach dem Sinn zu fragen. Auch dies ist eben sehr menschlich. Vielleicht gibt es ihn gar nicht, diesen Sinn. Manch andere Gesellschaften haben zwar Religion als Letztgrund, ob man das nun gut findet oder nicht. Doch wir können uns nicht zwingen zu glauben und auch religiöse Gesellschaften finden sich selten mit dieser Art von Sinnstiftung ab.
„Vielleicht gibt es ihn gar nicht, diesen Sinn.“
Spielen gegen die Absurdität!
Hier ist es das Spielerische, Humorvolle, welches den Ausweg bietet. Wir trotzen der Absurdität, indem wir den Anforderungen unseres Lebens mit einer gewissen Ironie begegnen. Mit einer humorvollen Selbstdistanz befreien wir uns nur vorübergehend, nur ein Stück von den Ernsthaftigkeiten und erlauben uns mit den Zweifeln umzugehen, von denen wir wissen, dass wir sie nicht ausräumen können. Dies machen wir, indem wir etwas tun, was bewusst keiner Funktion folgt. Wir spaßen und spielen herum.
Eben diese Anti-Absurditätstaktik, glaube ich, im Peter-Pan-Markt zu sehen. Man kauft ein Pappschild, welches in tausende Teile zerschnitten wurde, um es dann wieder mühevoll zusammen zu puzzeln. Man malt kleine ausgedruckte Flächen aus. Man schaut sich quietschbunte Figürchen im Kino an. Was für ein herrlich erfrischender Blödsinn! Hier ist kein Platz für ernsthaftes Planen. Hier bist du Kind, hier darfst du sein.
Bei Peter-Pan-Produkten geht es nicht einfach nur um Entspannung (wie etwa die FAZ und der Spiegel vermuten). Erstens ist Entspannung nicht die Eigenschaft dieser Produkte, die sie von anderen abhebt. Yoga etwa ist auch entspannend, aber mit seiner esoterischen Aufladung verdammt ernst und deshalb absurd. Wird außerdem Yoga nicht oft als Leistungsoptimierung feilgeboten? Mit dem Imperativ der Entspannung unterwerfen wir uns ja wieder einem Optimierungsdrang. Ich muss mich entspannen – was für ein Stress!
„Im Lego, im Puzzle, im Mandala gibt es, wenn es richtig bedient wird, keine Gewinner und keine Optimierung.“
Beeindruckend dagegen ist es, wie unglaublich bei sich ein Kind ist, das spielt. Und das sicher nicht, weil es sich denkt: „ich spiel jetzt mal eine Runde für meine Work-life-balance“. Im Lego, im Puzzle, im Mandala gibt es, wenn es richtig bedient wird, keine Gewinner und keine Optimierung. Es gibt kein besonders gut gemachtes Puzzle. Da wird nach Bauplan, Vorlage, Ausmalbild gewerkelt. Nichts darf die Funktion sein, auch nicht Entspannung. Was die Peter Pan Produkte letztendlich ausmacht, ist die Unmöglichkeit von jeder Ernsthaftigkeit. Und das ist gut, weil wir damit eine befreiende Selbstdistanz gewinnen.
Genossen der Absurdität, der Mandala-Sonne zu!
Dieser Beitrag erschien auch im transform Magazin, die Illustration ist von Anna Kaufmann. Unser Interview mit transform Herausgeber Richard lest ihr hier. Das sehr lesens- und anschauenswerte Magazin könnt ihr hier bestellen.