Interview mit den beiden Social Business Gründerinnen Marlene und Anne
Begriffe wie social Startup oder nachhaltiges Unternehmertum begegnen uns mittlerweile immer häufiger. Das ist toll, denn es bedeutet, dass immer mehr Firmen Wert auf ihren ökologischen Fußabdruck und das Wohlergehen ihrer MitarbeiterInnen legen und an einem wirklich nachhaltigen Geschäftsmodell arbeiten. – Oder?!
Leider nicht ganz. Diese Begriffe, die sich zum Teil Buzzword-artig verbreitet haben, da immer mehr KonsumentInnen lobenswerter Weise dafür empfänglich sind, werden oft ohne richtige Erklärung genutzt und nicht überprüft. Von außen ist es leider recht schwierig zu beurteilen, ob ein Unternehmen Green Washing betreibt oder sich wirklich aufrichtig nachhaltig aufstellen möchte. Wenn letzteres der Fall ist, dann geht das meist auch nicht von heute auf morgen, sondern ist ein langer Prozess, in dem oft noch Steine aus dem Weg geräumt und neue Wege beschritten werden müssen.
Diese Erfahrung haben auch Marlene Walter und Anne Schneider vom Textil-Label Nata y Limón gemacht. Vor fast genau drei Jahren durfte ich die beiden Gründerinnen an dieser Stelle bereits zu ihrem damals frisch gelaunchten Startup befragen, habe erfahren, was sich hinter dem Namen verbirgt, weshalb sie ein soziales Unternehmen gründen wollen und welche Rolle Nachhaltigkeit in ihrem eigenen Leben spielt.
Seitdem habe ich ihren Weg vor allem über die sozialen Medien stets gespannt mitverfolgt und muss sagen, dass mir bisher wenige Startups begegnet sind, die so konsequent, strukturiert und sympathisch ihre Mission verfolgt haben.
Unbedingt wollte ich mit den beiden ein Update-Interview führen und erfahren, wie sie es geschafft haben, ein wirklich faires und nachhaltiges Geschäftsmodell mit Frauenkooperativen in Guatemala aufzubauen, mit welchen Tools sie arbeiten und sich strukturieren und wie sie es in die Britische Vogue geschafft haben. Ganz nebenbei ist Marlene vor zwei Jahren auch noch Mama geworden. Da ich mich selbst schon frage, wie ich ab nächstem Jahr die Selbstständigkeit und das Mama sein möglichst sinnvoll kombinieren kann, hat mich natürlich Marlenes ganz persönlicher Umgang damit interessiert. Und für alle, die noch auf der Suche nach einem schönen und sinnvollen Weihnachtsgeschenk sind, haben Anne und Marlene auch noch ihre Tipps mitgebracht. Daher nun: Viel Vergnügen mit dem Interview!
Vor drei Jahren haben wir unser erstes Interview geführt. Damals habt ihr gerade eure Kickstarter-Kampagne gelauncht. In der Kurzfassung: Was ist seitdem passiert?
Überwältigend viel ist in dieser Zeit in unserem Leben mit Nata Y Limón passiert. Mit der Kampagne haben wir damals unsere erste Home Decór und Accessoires Kollektion gelauncht und damit die erste Produktionsrunde mit unseren verschiedenen Gruppen von Weberinnen und Webern in Guatemala. Das war ein sehr wichtiger Moment für uns. Unsere Crowd hat es uns ermöglicht, diesen Schritt zu gehen und damit einen ersten Fuß als Social Brand in den Craft Sektor zu setzen, um Impact für indigene Gemeinden in Guatemala zu schaffen.
Was in den letzten drei Jahren entstanden ist, kann man kurz und knapp mit mehr Klarheit über die Vision von Nata Y Limón und unser daraus abgeleitetes Impact Geschäftsmodell beschreiben. Wer sind wir im Kern? In welchen Bereichen wollen wir das Bewusstsein schärfen? Was wollen wir erreichen?
Wie würdet ihr eure Vision denn beschreiben?
Unsere Vision ist Menschlichkeit. Unsere Mission ist Women Empowerment durch Global Sisterhood.
Mit Nata Y Limón zelebrieren wir Frauen als die wahren Heldinnen der Stunde und als Zentrum der Familie; wir sensibilisieren für die Bewegung für die Rechte der indigenen Völker und für den Schutz des Amazonas.
Und wie setzt ihr das Ganze konkret um?
Wir arbeiten heute direkt mit einer festen Gruppe von insgesamt 14 Weberinnen und Schneiderinnen zusammen. Unsere direkte Zusammenarbeit basiert auf individuell aufgesetzten Kooperationsvereinbarungen, die unseren Frauen in Guatemala Verbindlichkeit und ein faires monatliches Einkommen sicherstellen, für welches wir als Berechnungsbasis den Stundenlohn vs. Produktlohn herangezogen haben. Man mag es kaum glauben, aber mit diesem Impact Modell setzen wir absolut neue Standards im Craft Sektor.
„Man mag es kaum glauben, aber mit diesem Impact Modell setzen wir absolut neue Standards im Craft Sektor.“
Gleichzeitig zur direkten Produktionsinfrastruktur in Guatemala sind unsere Produkte auch nur direkt von uns erhältlich – seit 2020 haben wir einen eigenen Online Shop mit unserer Heldinnen Taschen Kollektion und ausgewähltem Decór und unsere Interior Produkte finden ihren Platz in individuellen Inneneinrichtungsprojekten, wie z.B. mit dem Gambino Hotel in München.
Damals habt ihr euch vor allem auf Kissenhüllen, Decken und Kosmetiktaschen fokussiert. Hat sich an eurem Produktsortiment etwas geändert?
Wir haben zusätzlich zu diesen Produkten in diesem Jahr eine Handtaschen Kollektion mit dem Titel „Heroine Bag Collection“ gelauncht, um unsere Vision noch breiter im Fashion und Accessoires Bereich einzubringen und dadurch zusätzliche Arbeit für unsere Frauen in Guatemala zu ermöglichen. Mit unserer Heroine Kollektion zelebrieren wir Frauen als die wahren Heldinnen der Stunde – und weit darüber hinaus. Eine Kollektion, die mit zeitlosen Klassikern und minimalistischem Farbspektrum die leuchtende Vielfältigkeit ihrer Trägerinnen betont.
Was sind eure Lieblingsprodukte zur Zeit?
Wenn wir etwas aus unserer Heldinnen Kollektion herauspicken müssten, dann würde unsere Wahl auf die Diamond Phone Pouch Juana und Diamond Shoulder Clutch Angelita fallen. Beides sind sehr elegante und praktische Taschen für Tag und Nacht, in welchen die wichtigsten Alltagsgegenstände wie Handy, Maske, Schlüssel und Kosmetika verstaut werden können. Das simple Design ist beliebig kombinierbar mit jedem Outfit und saisonunabhängig. Und zudem lieben wir die Bedeutung des Diamantenmusters. Als eines der wichtigsten Symbole der Maya-Textilkunst verkörpert der Diamant die vier Ecken des Universums, die vier Ecken der Erde und enthält in seiner Mitte das Herz der Gemeinschaft.
Wart ihr in der Zwischenzeit noch mal vor Ort bei euren Kooperativen in Guatemala? Wie läuft die Zusammenarbeit?
Marlene war Ende Februar, kurz vor dem Lockdown, in Guatemala, um dort die Kooperationsvereinbarungen mit unseren zwölf Weberinnen und zwei Schneiderinnen zu unterzeichnen. Es war ein extrem wichtiger Moment, der gleichzeitig auch sehr emotional war. Der Prozess zur Gestaltung der Vereinbarungen war sehr intensiv, weil es für diese Art der Zusammenarbeit keine Dokumente oder ähnliches Vertragswerk gibt. Diese Art der verbindlichen Zusammenarbeit existiert nicht im Craft Sektor. Mit dem Prozess zur Gestaltung der Vereinbarungen mussten wir uns also genau die Frage stellen, wie wir Impact verstehen, was sind faire Arbeitsbedingungen für Kunsthandwerkerinnen, welche Verantwortung können und wollen wir übernehmen, etc. Ohne unsere Anwältin Monica Moisin, die Expertin in der Zusammenarbeit mit Artisans weltweit ist, wäre dieser intensive Prozess nicht möglich gewesen.
„Wir mussten uns die Frage stellen, wie wir Impact verstehen, was faire Arbeitsbedingungen für Kunsthandwerkerinnen sind und welche Verantwortung wir übernehmen können und wollen.“
Für die regelmäßige Produktionsabstimmung in Guatemala ist unsere Mitarbeiterin Fabiola zuständig. Sie lebt in Quetzaltenango/ Guatemala und besucht alle zwei bis vier Wochen unsere zwei Webgruppen und Schneiderinnen.
Von Anfang an habt ihr euch viel mit nachhaltigem Unternehmertum beschäftigt. Was sind eure Learnings aus den letzten Jahren?
Unser Fokus liegt auf nachhaltigem Unternehmertum im Craft Sektor und wir können mit Überzeugung sagen, dass wir leider feststellen mussten, dass der Status-quo des Craft Sektors kein nachhaltiges Unternehmertum widerspiegelt. Es wird sich weit und breit mit den Schlagwörtern „fair hergestellt“, „indigene Kunsthandwerker unterstützen“, „Kunsthandwerk fördern“, „Arbeit schaffen“ etc. geschmückt, aber leider steckt in den meisten Fällen kein verbindliches und transparentes Impact Modell dahinter. In einem unserem letzten Blog Artikel beleuchten wir zum Beispiel das Problem der Vermarktung von Vintage Textilien, welche gerne als fair-hergestellte Textilien betitelt werden. Als Konsument ist es extrem schwer dahinter zusteigen und deswegen möchten wir uns mit unserem transparenten Impact Modell und Preisgestaltung bewusst von anderen Unternehmen im Craft Sektor abgrenzen und einen neuen Standard vorleben.
Arbeitet ihr noch immer von Berlin und München aus? Wie hat sich euer Team evtl. verändert und wie strukturiert ihr eure Arbeit?
Die Berlin-München-Guatemala Verbindung ist Bestehen geblieben. Wir sind auch nach wie vor komplett remote organisiert. Zusätzlich zu uns beiden Gründerinnen haben wir drei weitere Mitarbeiterinnen und Studierende im Team. Wir haben eine komplett transparente monatliche Fokusplanung, in der klare Timings und Verantwortlichkeiten vergeben sind. Wir nutzen das Projektmanagementtool Monday, um diese zu dokumentieren und wöchentlich in unserem Team Skype Call den Status Quo zu besprechen. Wir halten uns sehr streng daran, Monat für Monat die Fokusplanung zu erstellen und zu reflektieren, um fokussiert und klar arbeiten zu können. Wenn möglich treffen wir uns alle sechs bis acht Wochen für einen Teamtag persönlich. Dann geht es aber nicht darum Dinge zu erarbeiten, sondern um Team-Bonding. Hier ein Podcast-Interview Tipp mit Sandro Dalla Torre vom Unternehmen Klarheit, das uns sehr bei der Gestaltung unserer Arbeitsstrukturen inspiriert hat.
Marlene, du bist in der Zwischenzeit auch Mama geworden. Hand auf’s Herz: Wie herausfordernd ist das als Selbstständige? Hast du dir eine Auszeit genommen?
Im ersten Jahr bin ich zeitlich etwas zurückgetreten, um mich auch auf meine neue Aufgabe als Mama fokussieren zu können. Nata Y Limón ist aber als mein „erstes Baby“ immer an meiner Seite geblieben. Ich habe die anfänglich langen Schlafphasen für die Arbeit genutzt und musste immer wieder neue Routinen und Wege dafür finden, neben meinem Baby Zeit für Nata Y Limón zu finden. Das war manchmal nicht so einfach, vor allem weil um mich herum so viele Mamas in komplett arbeitsfreier Elternzeit waren, die sich zum Spazierengehen etc. treffen wollten. Ich habe Nata Y Limón aber immer genauso wie mein Baby als große Lebensaufgabe gesehen und auch, wenn manchmal extrem stressig, hatte ich immer große Lust und Freude, beides zu kombinieren. Heute ist meine Tochter schon zwei Jahre alt und mit Kinderbetreuung lässt sich die Selbstständigkeit und Mama-Rolle sehr gut parallel stemmen, wenn man sich gut organisieren kann und der Partner zu gleichen Teilen involviert ist.
Im Frühjahr hat die britische Vogue über euch berichtet! Mega! Wie kam es dazu?
Natürlich haben wir uns riesig darüber gefreut! Für uns und unsere Arbeit ist es eine extrem große Wertschätzung von der wohl relevantesten Modezeitschrift genannt und promoted zu werden. Wie es dazu kam? Wir wurden tatsächlich im Februar dieses Jahres einfach angeschrieben. So schnell kann es manchmal gehen.
Weihnachten steht vor der Tür. Habt ihr Geschenketipps für alle, die etwas Sinnvolles und Nachhaltiges verschenken möchten?
Auf jeden Fall! Für alle, die unsere Arbeit unterstützen und ‚Impact for Christmas‘ schaffen möchten, wird es besondere Geschenksets in unserem Online Shop geben. Besonders schön und passend für dieses turbulente Jahr 2020 finden wir unsere Care Packages mit den kleinen guatemaltekischen Sorgenpüppchen zum Schenken an Freunde und Familie. Für unsere Instagram Community haben wir außerdem ein paar richtig schöne Adventsspecials vorbereitet. Hier könnt ihr uns folgen und euch überraschen lassen.
„Kulturelle Anerkennung bedeutet in erster Linie, die Menschen hinter dem Kunsthandwerk zu sehen.“
Beim letzten Mal haben wir bereits gefragt, wo ihr euch in ein bis zwei Jahren seht. Die gleiche Frage auch jetzt noch mal.
Unser zukünftiges Ziel ist es, mehr mit den traditionellen Brokattextilien zu arbeiten. Das Brokatweben am Hüftwebstuhl ist die komplexeste und zeitaufwendigste Webart und die wohl berühmteste Kunstform aus Guatemala und der Maya. Mit unserer Arbeit in den nächsten Jahren, geht es uns darum, die Standards im Umgang mit indigenem Kunsthandwerk anzuheben, denn kulturelle Anerkennung bedeutet in erster Linie, die Menschen hinter dem Kunsthandwerk zu sehen. Es bedeutet die Zeit, die es braucht, um traditionelle Textilkunst zu erschaffen, wertzuschätzen (das heißt konkret, Bezahlung auf „Living Wage“ Niveau) sowie das überlieferte kulturelle Wissen zu ehren, das die Maya-Frauen am Leben zu erhalten wussten. Um das zu schaffen, ist es unser Ziel innovative und visionäre Ansätze zu etablieren und mit Nata Y Limón die Craft Branche nachhaltig zu prägen.
Vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute!