Autorin Pia Maack fragt sich, ob die Viertagewoche der Schlüssel zum Erfolg und Glücklichsein ist
Ich bin Anfang 30, in meinem Freundeskreis gibt es jede Menge Babys und Kleinkinder. Ich beobachte, wie sich mit der Geburt der Minis in meiner Bubble die Arbeitsverhältnisse ändern. Teilzeit lautet offensichtlich der Schlüssel zum entspannteren Familienleben. Klar, denke ich, wie zum Teufel schaffen es Eltern in Vollzeit, arbeiten zu gehen, ihre Kinder während der Öffnungszeiten in die Kita zu bringen und abzuholen, mit ihnen kostbare Lebenszeit zu verbringen, sie zu fördern, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und gleichzeitig Haushalt und das volle Mental Load-Programm zu wuppen? Ach ja und nebenbei gibt es auch noch das Liebesleben, das gepflegt werden will. Nicht zu vergessen Freundschaften und persönliche Bedürfnisse. Puh, gibt es sie überhaupt, die perfekte Work-Life-Balance? Als Alleinerziehende*r: unmöglich. Und auch in Elternschaften mit zusammenlebenden Erziehenden kann ich nicht auf ein einziges Beispiel in meinem Freundeskreis zurückgreifen, in dem beide Elternteile Vollzeit erwerbsarbeiten. Eine Person ist immer in Teilzeit beschäftigt, um „den Laden am Laufen zu halten“. In den heterosexuellen Beziehungen in meinem Umfeld ist das fast zu 100 Prozent die Frau, die Arbeitsstunden reduziert. Ich kenne gerade einen Mann in meinem Freundeskreis, der in Teilzeit arbeitet, während seine Liebste in Vollzeit Geld erwirtschaftet. In zwei Fällen haben beide Partner*innen eine Teilzeitbeschäftigung. Das muss man sich leisten können, denn Teilzeit bedeutet auch immer Teilgehalt.
„Das muss man sich leisten können, denn Teilzeit bedeutet auch immer Teilgehalt.“
Ist die Lösung so einfach?
Aus dem Instagram-Kanal von Autorin Alexandra Zykunov lese ich, dass das Konzept der 40-Stunden-Woche ursprünglich für einen Mann ausgelegt war, der eine 100-Prozent-Hausfrau Zuhause hatte. Ach so, denke ich. Na dann ist es ja kein Wunder. Aber ist es dann nicht Zeit für ein neues Arbeitszeitenmodell? Das würde auch unserer Gesundheit gut tun, sagt Prof. Dr. Rainer Richter. Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer erklärt dem „Ärzteblatt“, dass ArbeitnehmerInnen immer häufiger wegen seelischer Erkrankungen fehlen. Dafür verantwortlich seien hohe Anforderungen, Zeitdruck und wenig Einfluss auf den Ablauf oder das Ergebnis der Arbeit. Ich frage mich, ob die viel diskutierte Viertagewoche der Schlüssel zu Glück und Erfolg sein kann? In meiner Vorstellung streichen alle Menschen den Freitag aus ihrer Arbeitszeit, bei gleichbleibendem Gehalt natürlich. Klingt ziemlich verlockend. Aber schon während ich das denke, wird mir klar, dass es so einfach nicht sein kann. Ich denke an die vielen Branchen, die nicht einfach abwesend sein können und/ oder in Schichten arbeiten. Und ans Geld. Würden Firmen gleiche Gehälter bei weniger Arbeitszeit zahlen? Warum eigentlich nicht, wenn die Menschen ihre Arbeit trotzdem schaffen und die gleichen Ergebnisse erzielen? Kann das im Kapitalismus flächendeckend funktionieren? Aber Step by step.
Wo läuft’s rund?
Ich lese von Ländern und Unternehmen, die die Viertagewoche schon ausprobiert haben. Ein Paradebeispiel für das Konzept ist Island. Zwischen 2015 und 2019 fanden in dem nordischen Inselstaat zwei Experimente mit verkürzter Arbeitszeit bei gleichem Lohn statt. Laut „Stern“ war es das weltweit größte Experiment in dieser Hinsicht. Die Ergebnisse der Studie zu dem Versuch lesen sich wie eine glänzende Zukunft: Eine verkürzte Arbeitswoche reduziert Stress, verbessert die Work-Life-Balance und erhöht sogar die Produktivität. Die 35- oder 36-Stunden-Woche mache es leichter, Arbeit, Familienleben, Haushaltspflichten und persönliche Freizeit unter einen Hut zu bringen, sagten insgesamt rund 2500 ArbeitnehmerInnen in den Befragungen. Gestiegenes Wohlbefinden, weniger Stress, weniger Burn-outs, verbesserte Work-Life-Balance UND die Produktivität der Firmen sei gleich geblieben oder habe sich verbessert, schreiben die Forscher:*innen. Das funktionierte unter anderem, in dem Produktivitätseinbußen gezielt verhindert wurden. Arbeitsroutinen wurden überarbeitet, Meetings verkürzt oder vollständig durch E-Mails ersetzt. Außerdem wurde gezielt nach Aufgaben gesucht, die sich ersatzlos streichen lassen. Davon hat sich auch Spanien inspirieren lassen. Das Pilotprojekt soll laut „Zeit“ dort noch 2022 mit einer Anzahl von circa 200 Unternehmen starten. Mindestens ein Jahr lang werden rund 6000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Tag pro Woche weniger arbeiten. Trotz der neuen Wochenarbeitszeit von 32 Stunden soll es keine Lohneinbußen geben.
Eine Konsequenz der Geschichte?
Okay, das klingt alles logisch, aber was sagt der Kapitalismus dazu? Mark Schieritz und Marcus Rohwetter finden für die „Zeit“ Argumente, die auch die Wirtschaft freuen dürften. So sei die Viertagewoche auch aus ökonomischer Sicht von Vorteil, sagen sie. Kürzere Arbeitszeiten ohne Gehaltseinbußen seien ein Weg, „um die Arbeitnehmer an der steigenden gesamtwirtschaftlichen Produktivität zu beteiligen, die der technologische Fortschritt mit sich bringt“, so die Journalisten. Das Gehalt sei dabei schließlich nicht allein als Kostenfaktor zu sehen. Es sorge auch dafür, „dass genug Kaufkraft vorhanden ist, damit die von den Unternehmen hergestellten Waren überhaupt abgesetzt werden können.“ Schiert und Rohwetter gehen sogar noch weiter: „Letztlich sind Entwicklungen wie die Digitalisierung oder die Automatisierung nichts anderes als eine Spielart des technologischen Fortschritts. Insofern löst die Viertagewoche gleich zwei Probleme auf einmal: Sie wirkt in der Krise Entlassungen entgegen und sichert die Teilhabe der arbeitenden Massen an den Früchten des Maschinenzeitalters.“ Ist die Viertagewoche also nur eine logische Folge unserer Entwicklung? Ein Blick auf die Geschichte lässt dies vermuten. Schließlich hat im Jahr 1870 ein deutscher Fabrikarbeiter im Schnitt noch 67,6 Stunden in der Woche gearbeitet. Das sind mehr als neun Stunden jeden Tag von Montag bis Sonntag! Für vollerwerbstätige Menschen liegt die Zahl bei uns momentan durchschnittlich bei 41 Stunden. Das sieht doch erstmal nach Fortschritt aus! Ein nötiger Fortschritt, sagen auch Mark Schieritz und Marcus Rohwetter. Die Redakteure sind sich sicher, dass „die Geschichte der Arbeitszeitverkürzung eine Geschichte des ökonomischen und gesellschaftlichen Fortschritts ist.“ Schließlich hat es 1870 weder Fernsehen, noch Internet, kein Penicillin oder Autos gegeben. Heute haben wir das alles!
„Insofern löst die Viertagewoche gleich zwei Probleme auf einmal: Sie wirkt in der Krise Entlassungen entgegen und sichert die Teilhabe der arbeitenden Massen an den Früchten des Maschinenzeitalters.“
Nur ein Kriseninstrument?
Ich bin überzeugt! Doch tut das leider nichts zur Sache, solange es unser deutscher Bundesarbeitsminister, Hubertus Heil, nicht ist. Gegenüber dem „Tagesspiegel“ betonte der SPD-Politiker, dass der Arbeitsmarkt zwar vor gewaltigen Umwälzungen stehe, er aber keine generelle Möglichkeit einer Viertagewoche einführen wolle. „Ich möchte das nicht für den gesamten deutschen Arbeitsmarkt vorschreiben“, erläuterte er seine Entscheidung. Aber flexiblere Arbeitszeitmodelle wolle er ausbauen. Na immerhin. Nichts desto trotz gibt es auch in Deutschland vereinzelt Firmen, die die Viertagewoche testen. Der „Tagesspiegel“ berichtet von dem Berliner Unternehmen Braineffect. Dieses reduzierte letztes Jahr die Arbeitszeit über die Sommermonate. Bei Braineffect berichtet man danach von weniger Krankheitstagen, gleichbleibender Produktivität, geringerer Angestellten-Fluktuation und einer höheren Zufriedenheit unter den Mitarbeitenden. Weil es so gut lief, will man es in dem Start-Up im nächsten Sommer direkt wiederholen. Im Winter setzt Firmenchef Fabian Foelsch die Viertagewoche aus, damit es „etwas Besonderes bleibt, worauf sich die Leute freuen können.“ Neben Einzelfällen, die das Arbeitszeitenmodell der Viertagewoche in Deutschland testen, wird es in der Bundesrepublik momentan vor allem als Kriseninstrument diskutiert. So sollen die Unternehmen, die derzeit weniger Aufträge erhalten, die Beschäftigten weniger arbeiten lassen. Auf diesem Weg müssten weniger Mitarbeiter entlassen werden. Allerdings würde man in dem Fall auch das Gehalt kürzen. Das Prinzip beinhaltet, dass vorhandene Arbeit auf mehr Menschen verteilt wird als bisher. So erhalten die Angestellten zwar weniger Gehalt, müssten aber nicht gekündigt werden. Auf diese Weise rettete man bei Volkswagen in einer Krise in den Neunzigern 30.000 Arbeitsplätze. Arbeitszeiten und Geld kürzen, statt Belegschaft entlassen. Also Viertagewoche in der Krise? Ja. Viertagewoche für glücklichere und gesündere Menschen? Nein.
Schlägt Geld alles?
Aus Schottland kommen versöhnlichere Töne. Dort berichtet das Edinburgher Bauunternehmen Orocco, dass die Produktivität gestiegen sei und sich die psychische Gesundheit der Mitarbeiter verbessert hätte, seit man die Viertagewoche anwende. Das Glasgower Verpackungsunternehmen UPAC konnte nach einem zweimonatigen Versuch Anfang 2021 beobachten, dass die Stresslevel der Mitarbeiter gesunken seien. In dem nördlichen Teil Großbritanniens wurde bei einer virtuellen Versammlung Anfang September 2021 mit großer Mehrheit dafür gestimmt, die Fünftagewoche durch ein Viertagesystem zu ersetzen. Schon besser. Im Sommer 2019 hat in Japan sogar ein verhältnismäßig riesiges Unternehmen den Schritt gewagt. Microsoft ließ die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nur noch vier Tage pro Woche arbeiten, wodurch sie nach eigenen Angaben zum Ende des Projektes sogar einen deutlichen Anstieg der Produktivität feststellten. Die MitarbeiterInnen seien zu 92 Prozent glücklicher gewesen, heißt es. Das klingt doch nach einer Win-win-Situation für alle oder? Nicht ganz. Das liebe Geld ist das Problem. In Schweden testeten 2015 alle kommunalen Krankenhäuser und Altenheime das Modell. Zwar stellte man hier auch fest, dass das Personal produktiver, gesünder und zufriedener war. Allerdings brach man die Viertagewoche nach zwei Jahren wieder ab. Es war in der Umsetzung zu teuer. Der Personalmangel in der Branche tat sein Übriges. Schließlich ist es in den Bereichen Pflege und Gesundheit wichtig, dass immer ausreichend Personal anwesend ist.
Mogelpackung Viertagewoche?
Ob mit den Worten Benjamin Franklins „Geld regiert die Welt“ oder nach dem Motto „Ohne Moos nix los“, ich begreife: Ohne Moneten läuft langfristig flächendeckend (vorerst) nichts in Sachen Viertagewoche. So sieht das auch Marcus Rohwetter. Der Journalist geht in seinem Artikel für die „Zeit“ so weit, dass das System nicht nur unfinanzierbar sei, sondern ihn schon die Wortwahl der „Viertagewoche“ störe. Der Ausdruck verrate, „wie verhaftet die Urheber dieser Idee den klassischen Kategorien der Arbeitswelt noch sind, in der Worte wie Homeoffice oder flexible Arbeitszeiten irgendwie gar nicht vorkommen.“ Und in der Tat, wenn ich mir vorstelle, mein Mann arbeite zwar nur noch vier Tage in seiner Festanstellung, diese aber dafür genauso lang wie bisher oder sogar länger, haben wir an diesen vier Tagen nicht viel Lebensqualität gewonnen. Statt von Montag bis Freitag würden wir uns zwar nur noch von Montag bis Donnerstag abhetzen, aber eben trotzdem abhetzen. Reduziert man statt der Arbeitstage aber die Arbeitsstunden, würde das weitaus mehr Flexibilität bringen. Jedoch bleibt eine Frage für Rohwetter unbeantwortet: „Eine Viertagewoche ohne Lohnausgleich wäre unattraktiv für alle, die auf ihren Lohn angewiesen sind. Eine Viertagewoche mit vollem Ausgleich dagegen käme wirtschaftlich einer Gehaltserhöhung gleich. Und wer bezahlt die?“ Das hat man sich wohl auch in Belgien gedacht. Der Benelux-Staat hat im Februar 2022 mit wehenden Fahnen und Trompeten die Vier-Tage-Woche angekündigt. Jedoch ist es bei genauerem Hinsehen eine Mogelpackung. Belgien hat zwar die Möglichkeit geschaffen, nur an vier Tagen in der Woche zu arbeiten, jedoch bleiben die zu arbeitenden Stunden gleich. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Belgien müssen nun also in vier Tagen die Zeit arbeiten, die sie sonst in fünf erledigt haben. Puh, das klingt ja fast noch anstrengender als vorher, finde ich und erinnert mich doch stark an das Gleitzeitmodell.
„Verdienst du dein Geld mit etwas, das dir Freude macht?“
Liebst du deinen Job?
Und jetzt? Was ist die Quintessenz, fragt ihr euch bestimmt. Da schreibt die 12.000 Zeichen und hat keine Lösung für unser Dilemma? Keinen Ausweg für Burn-Out, ein Rezept für eine bessere Work-Life-Balance und das Ende von Frauen, die der Familie wegen auf Geld und Karriere verzichten? So ist es. Mich erschleicht das Gefühl, dass wir anders an die Sache heran gehen müssen, umdenken, anders ansetzen. John Strelecky schreibt in seinem Bestseller „The Big Five for Life“: „Fähige Leute brauchen niemanden, der ihr Verhalten überwacht. Sie arbeiten nicht deshalb so gut, weil sie kontrolliert werden, sondern weil sie sich mit ihrer Arbeit identifizieren.“ Das Prinzip, das der Erfolgsautor beschreibt, funktioniert sicher nicht in allen Branchen, aber mit Sicherheit in vielen. Vielleicht brauchen wir keine Pauschalstrategie, kein Gesetz, dass uns in das nächste strikte Konzept drückt. Statt Allgemeingültigkeit brauchen wir Menschlichkeit. Vielleicht brauchen wir mehr Arbeitende, die lieben, was sie tun und Führungskräfte, die diese Menschen suchen und fördern, ihnen Flexibilität und Vereinbarkeit ermöglichen. John Strelecky formuliert das so: „Ich möchte keine Mitarbeiter, die ihren Job mögen. Ich möchte Leute, die in ihrer Arbeit Erfüllung finden. Wenn man das erreicht, bekommen Leute kein Burn-Out-Syndrom. Sie sind voller Energie.“ Das Leben ist kurz und ganze acht Jahre davon verbringen wir durchschnittlich mit Arbeiten. Verdienst du dein Geld mit etwas, das dir Freude macht?