LAYERS Autorin Anne über ihren Lieblingsort für eine Auszeit
Verdammt, nur noch schlechte Nachrichten! – Manchmal frage ich mich echt, in was für einer Welt mein kleiner Junge eigentlich aufwachsen soll. Zum Glück ist er erst drei und kriegt von all dem wenig mit: Klimawandel, Krieg, Corona und so ein allgemeines Gefühl von Unsicherheit und Spannung in einer Gesellschaft, die immer weiter auseinanderzudriften scheint.
Ich finde es schwer – als Mami und als Mensch – damit richtig umzugehen. Ein bisschen versuche ich schon, meinem Kleinen zu erklären, was gerade los ist: „Wir können Omi nicht besuchen, weil sie den bösen Husten hat, wegen dem alle eine Maske tragen müssen.“ Oder über meine ukrainische Gasttochter: „In Linas Land macht ein böser Mann mit Raketen die Häuser kaputt. Deshalb musste Lina ganz schnell abhauen. Bei uns kann aber nichts passieren. Die Polizei passt auf!“ Kleine Notlüge am Ende, aber viel besser kriege ich es halt nicht hin.
Gleichzeitig ist unser Leben intensiver geworden. Noch mehr als sonst achte ich darauf, dass wir den Moment genießen. Bei Urlaub und bei Geschenken wird nicht gespart. Immer wieder muss ich daran denken, wie fragil dieser ganze Luxus ist, in dem wir leben. Und an die Kämpfe, die andere Frauen in der Ukraine, im Iran und an so vielen anderen Orten gerade ausfechten müssen. Was für ein Glück wir haben.
„Noch mehr als sonst achte ich darauf, dass wir den Moment genießen.“
Trotzdem kann ich jeden verstehen – der wie ich an manchen Tagen – einfach den Kopf in den Sand stecken möchte. Gerade als junge Eltern. „Unsere Aufgabe ist es, die Sorgen auszuhalten und stark zu bleiben“, sage ich oft zu Lina.
Ein bisschen verdrängen ist dabei aus meiner Sicht eine durchaus legitime Strategie. Deshalb baue ich immer wieder Zeiten in meinen Alltag ein, in denen ich bewusst versuche, nicht an die ganzen schlimmen Dinge zu denken. In denen Platz für Leichtigkeit ist und die Sachen, mit denen ich mich früher beschäftigt habe – ohne ein schlechtes Gewissen zu haben: Kultur, Genuss, Reisen, Mode, das gute Leben halt.
Und wo ginge das besser als an einem wunderschönen – und vielleicht sogar ganz passend ein bisschen surrealen – Ort? Willkommen in Karlsbad! Stellt euch vor, ihr fahrt zwei Stunden durch die sächsische Provinz. Alles ein bisschen verschlafen und grau. Die Straßen fast menschenleer. Sanfte Hügel und tiefe Tannenwälder. Ihr überquert den Fichtelberg. Merkt gerade, dass ihr in einem anderen Land, Tschechien, angekommen seid und findet euch urplötzlich vor einem Panorama wieder, das ihr überall sonst erwarten würdet, aber doch nicht hier:
Bezaubernde historische Straßenzüge, die sich am Hügel übereinander legen, Palmen, mondäne Hotels, süße Cafés, kleine Geschäfte von Glitzertrash bis Designer-Fashion und fröhliche Menschen, die genau wie ihr gerade nichts anderes vorhaben als zu flanieren, Glühwein zu trinken oder Eis zu schlecken, vielleicht etwas Kleines einzukaufen und vorm Fünf-Gänge-Menü am Abend noch mal schnell in den Whirlpool zu springen.
Klingt verrückt. Oder besser entrückt? Ist es auch. Karlsbad ist nah. Karlsbad ist echt erstaunlich günstig. Und Karlsbad ist immer ein bisschen over the top. Fast jedes Hotel, jedes Zimmer gleicht einem – wenn auch mitunter ein bisschen in die Jahre gekommenen – Palast. Understatement wird in Karlsbad klein geschrieben. Woran das liegt, kann ich nur erahnen.
„Und Karlsbad ist immer ein bisschen over the top.“
Eigentlich ist die Kleinstadt nahe der deutschen Grenze mit ihren Schnörkeln und Kronleuchtern eher auf russische Gäste eingestellt. Die bleiben jetzt natürlich aus. Mir haben das multikulturelle Flair der Stadt und die Extravaganz ihrer Besucher immer gut gefallen. So spannend, einfach mit dem Liebsten oder der besten Freundin im Café zu sitzen und die Menschen an sich vorbei ziehen zu sehen.
Passend dazu hatte ich für die Fotos zu diesem Artikel wunderschöne Cashmere-Oberteile und Hüte aus der Herbstkollektion meiner Freundin Heike im Gepäck. Sie besitzt bei uns zuhause in Leipzig eine kleine Boutique mit nachhaltiger, eleganter Mode, die ebenso gut nach Karlsbad passen könnte. In Karlsbad ist man nie zu chic. Egal, ob Outfit oder Makeup – „Es darf glitzern!“ lautet die Devise.
„Erlaubt euch kleine Fluchten.“
Natürlich darf man in Karlsbad auch vernünftige Sachen machen. Überall in der Stadt gibt es Quellen mit Heilwasser, das wirklich Wunder wirken soll. Und vergesst bei allem Blingbling nicht, die Wanderschuhe einzupacken. Auch die Natur rund um die Stadt ist es wert, entdeckt zu werden. Vor allem aber erlaubt euch kleine Fluchten. Sammelt Kraft. Vergesst nicht das gute Leben. Haltet es euch warm.
Kleidung von saxony ducks (Zschochersche Straße 71, Leipzig): Bowler von Mühlbauer Wien, Ringelpullover von Alyki Cashmere, Glitzerjacke und Kimono von saxony ducks.
Laura Hertel
Danke für den tollen Tipp, liebe Anne! So oft gehört und trotzdem irgendwie nicht auf dem Schirm gehabt. Das klingt wundervoll. Denn wie du schon schreibst, der Kopf ist voll nach einem so merkwürdigen Jahr.