Selbst & Ständig – Interview mit Gastronomin Anna Kaufmann
Nach ihrem Architekturstudium, fand sich Anna Kaufmann mehrere Jahre als Architektin in Festanstellung wieder, wo sie mit reinster Fleißarbeit und viel zu vielen Überstunden konfrontiert wurde. Mit ihrem Umzug nach Leipzig kam dann die Umorientierung hin zur Selbstständigkeit als Gastronomin. Heute führt Anna erfolgreich zwei Gastronomiebetriebe mit mehreren Angestellten und ist seit 2021 ebenfalls Mama. Das bringt natürlich einige Herausforderungen mit sich. Ganz vorne: die Personalführung, aber auch Zeitmanagement, ebenso wie das Kalkulieren von Kosten und Löhnen. Doch Anna hat viel gelernt und kann heute wertvolle Tipps und Tricks und ihre Erfahrungen mit uns teilen.
Im Interview erfahrt ihr, warum Anna sich und ihren MitarbeiterInnen immer wieder die Frage nach dem „Warum?“ stellt, was aktuell ihre größte Herausforderung ist, wie wichtig ein ernst gemeintes Danke ist und was ihr auf dem Weg in die Selbstständigkeit geholfen hat.
Anna, als was und seit wann arbeitest du selbstständig?
Ich bin Gastronomin und arbeite seit 2015 selbstständig.
Was hast du vorher gemacht?
Ich habe vorher als Architektin in einer festen Anstellung gearbeitet, durch den Umzug nach Leipzig habe ich mich umorientiert.
Warum hast du dich dazu entschlossen selbstständig zu arbeiten?
Nach meinem Studium hat sich der Berufseinstieg so angefühlt, als würde ich wieder bei Null anfangen. Nach 6 Jahren Studium, das zwar schön aber auch arbeitsintensiv war, habe ich die nächste Stufe auf der Karriereleiter erst am Ende von 5-10 Jahren Fleißarbeit und Überstunden gesehen- in der Branche ist das die Regel. 300 Überstunden im ersten Berufsjahr. Das hat damals niemand meiner KollegInnen auch aus anderen Büros als viel empfunden. Dann kam ganz klassisch noch die Sinnfrage dazu. Ich kann mich erinnern, dass ein Projektleiter wollte, dass ich in einer Türliste alle k.A. für keine Angabe in ein Minuszeichen händisch ersetze, damit keiner auf die Idee kommt, dass das k.A. für „keine Ahnung“ steht. Wir beide wussten, das dauert ewig und ändert nichts.
Da habe ich mich als Berufseinsteigerin richtig abgestellt gefühlt.
Ich dachte mir- als Selbstständige mache ich nur Sachen, die sinnvoll für mein Ziel sind. Und das stimmt. Es stimmt aber auch, dass ich heute meinem Team den Sinn erklären muss. Und das „Warum“ immer klar kommunizieren. Am besten mehrfach täglich. Auch wenn ich unbeliebte Aufgaben erledige, wie die Gästetoilette zu reinigen, muss klar sein: Wir wollen es schön machen für den Kiez.
Mittlerweile hast du zwei Gastros und bist auch noch Mama. Wie sieht dein Tagesablauf aktuell aus?
Optimalerweise habe ich drei kurze und zwei lange Arbeitstage. An den kurzen habe ich die Ehre, mein Kind von der Kita abzuholen und herumzutollen. Ansonsten wird es aber nie langweilig.
Natürlich habe ich klassische Bürotätigkeiten mit Buchhaltung und Lieferantentelefonaten, aber auch mit Social Media Planung und Produktentwicklung.
Über die Zeit haben wir schon gute Strukturen aufgebaut, die wir aber im Team regelmäßig optimieren und effizienter gestalten.
Einmal die Woche haben wir ein Weekly mit meinen Standortleiterinnen, bringen uns auf den aktuellen Stand und besprechen dabei To-Dos. Ungefähr 5 Mal im Jahr trifft sich das ganze Team für kleine theoretische oder praktische Trainings. Das hilft strukturell allen nochmal zu synchronisieren, auch persönlich. Schritt für Schritt habe ich viele Aufgaben abgegeben und Strukturen aufgebaut, die mir wiederum mehr Raum zum Rangieren gegeben haben.
Gibt es eine Aufgabe, die du vorher unterschätzt hast?
Wie das wohl viele sagen werden: Personalführung. Das ist immer die größte Herausforderung. Aber auch die Schönste. Ich habe mich viel weitergebildet, Videos von Leuten wie Simon Sinek inhaliert und Online Vorträge von weiteren, meist amerikanischen Leadership-Figuren durchgearbeitet. Das mache ich immer wieder regelmäßig, um mich inspiriert zu halten und nach vorne zu arbeiten.
Corona, Personalmangel, Inflation – vermutlich war es schon mal leichter im Gastro-Business. Was ist aktuell deine größte Herausforderung und hast du manchmal Angst davor, wie es weitergeht?
Ja, es ist Wahnsinn. Ich telefoniere gefühlt jede Woche mit LieferantInnen, um Preise zu verhandeln, weil die schon wieder gestiegen sind. Und natürlich kann ich die Preise nicht jedes Mal wieder an meine Gäste weiter geben. Ich will ja noch, dass sie weiterhin kommen. Auch die Personalkosten sind gestiegen: In einem Jahr von 9,60 € auf 12 € brutto im Mindestlohnbereich. Das finde ich zwar richtig und gut, aber das muss man auch wirtschaftlich realisieren können, ohne die Tasse Kaffee für 5 € anzubieten. Und wer denkt, dass die Margen bei der Gastro so saftig wären, dass wir eine durchschnittliche Preissteigerung von 20 bis 40 % bei Personal- und Energiekosten, Weizenprodukten und Lebensmitteln ganz einfach weg stecken können, liegt falsch. Natürlich fände ich es schöner, nach der Corona-Zeit wieder normal wirtschaften zu können.
Es hilft nichts: Wir setzen auf unsere Stärken und passen uns an, liefern gute Qualität und eine gemütliche Atmosphäre für den Kiez.
Ich denke, dass es im Allgemeinen eine Verschiebung vom Lebensfokus auf den Freizeitbereich gibt. Die Leute wollen nicht mehr Überstunden schieben, um Karriere zu machen, sondern nach ihren 30 Stunden/Woche ihre FreundInnen und Familie bei einem Kaffee oder Bierchen sehen. Wenn ich etwas durch zwei Jahre mit Lockdowns gelernt habe: Menschen sind gesellig und wollen sich in echt begegnen. Das heißt, es gibt immer eine Zukunft für die Gastro.
Du führst ein Team mit MitarbeiterInnen. Kannst du gut Chefin sein?
Ich versuche es jeden Tag. Aber was heißt das eigentlich? Was ist eine gute Chefin? Wenn du mich als Arbeitnehmerin vor 10 Jahren gefragt hättest, hätte ich wahrscheinlich gesagt, dass eine gute Chefin immer ja sagt zu meinen Wünschen. Vor allem zu meinen Lohnwünschen und dass ich immer früher gehen kann, wenn ich will. Von der anderen Seite sehe ich heute, dass ich so sehr schnell gar keine Jobs mehr anbieten könnte, wenn ich so halsbrecherisch wirtschaften würde.
Das Wichtigste ist, dass alle wissen, warum sie da sind. Und dass man versucht, fair zu sein. Auch zu sich selbst.
Ich glaube, ich habe lange zu wenig erwartet. Da durfte ich mit der Zeit und mit richtig guten Leuten lernen, dass ich getrost Aufgaben abgeben kann, die dann besser und schneller erledigt werden.
Immer Danke sagen. Immer. Auch, wenn es klar ist, dass die Arbeit bezahlt wird – Menschen arbeiten nicht nur wegen Geld, sie brauchen es, gesehen zu werden, mitgenommen zu werden und ihre Wirksamkeit bestätigt zu sehen. Gib viel spezifisches Lob. Also nicht sowas wie: “Hast du gut gemacht“, sondern: “Danke, dass du die Aufgabe heute priorisiert hast, und dir die andere für morgen notiert hast. Damit sehe ich, dass du weißt, was wichtiger im Ablauf ist und dass du dich gut organisieren kannst.“
Und mir persönlich hilft es, immer den gleichen, positiven Gemütszustand zu haben.
Das bringt Ruhe und Professionalität. Ich freue mich ohnehin immer, wenn ich mein Team sehe. Wenn ich mir vorstellen würde, dass ich launisch meinem Team gegenüber wäre oder grummelig in meinem Café herumlaufen würde, wenn mal etwas nicht optimal läuft, das würde doch alle verunsichern.
Da muss man sich als Führungsperson schon selbst im Griff haben.
Wie gehst du mit Ausfall durch Krankheit um und wie kümmerst du dich um deine Altersvorsorge?
Ich werde nicht krank. Und wenn, läuft auch alles ohne mich.
Um mein Kind zu bekommen, habe ich schon 3 Jahre vorher systematisch begonnen, alles so umzubauen, dass ich nicht mehr notwendig bin.
Zumindest für eine Zeit lang. Ich sehe mich manchmal auch nur als bessere Hausmeisterin. Meine Altersvorsorge habe ich über Rürup, ETFs und Aktien organisiert. Mal schauen, was daraus wird. Aber eine bessere Option habe ich bisher nicht gefunden. Da habe ich mich mit Channels wie Finanztipp vorher informiert.
Was ist für dich der größte Vorteil deiner selbstständigen Arbeit?
Ich weiß, warum ich arbeite.
Welche Tipps hast du an alle, die auch überlegen, sich selbstständig zu machen?
Schau, was für ein Typ du bist. Wenn du dich am wohlsten zu Hause mit einem Buch fühlst und viele unterschiedliche Menschen eher deinen Fluchttrieb triggern, dann würde ich deine Idee von Selbstständigkeit prüfen. Du musst wahrscheinlich, auch wenn du vielleicht nur etwas Kleines online machst, KundInnen gewinnen, LieferantInnen kontaktieren und generell erstmal in eine sehr proaktive Rolle schlüpfen, bevor alles läuft. Also: play by your strengths. Schau, dass du eine Vision mit realistischen Zahlen für dich und dein Unternehmen in 5 und 10 Jahren hast. Und korrigier dich jährlich. Lern so viel wie möglich nebenbei.
Hab keine Angst, etwas auszuprobieren, du kannst es immer noch ändern. Einfacher ist meistens besser.
Du brauchst eine gute Portion Hartnäckigkeit und Findigkeit. Geht nicht, gibt’s nicht. Wenn der Laden am Laufen ist, musst du manchmal schnell Lösungen finden. Spare für unerwartete Bumper, damit du handlungsfähig bleibst. Ich habe das durch den sehr unwahrscheinlichen Fall einer Pandemie gelernt. Wie fast alle GastronomInnen. Vertraue deinem Bauchgefühl, aber handele nach deinen Excel-Auswertungen. Amen.
Generell muss ich aber sagen: Es sind gerade die besten Zeiten für ArbeitnehmerInnen. Es werden so viele Jobs unbesetzt sein, wenn alle Boomer in 5-10 Jahren in Rente sind. Falls du für deine Selbstständigkeit planst, ArbeitnehmerInnen anzustellen, frag dich ganz ehrlich: Gibt es für dein Ziel, für das, was du machen möchtest, vielleicht schon eine ausgeschriebene Stelle? Die Wahrscheinlichkeit, dass du da entspannter deinen Lebensunterhalt verdienen kannst und trotzdem das machen kannst, was du liebst, ist echt gut.
Vielen Dank für deine spannenden Antworten und weiterhin alles Gute für dich, Anna!
Wenn ihr Anna einmal in Aktion erleben wollt, schaut unbedingt im Café Kune oder im Café Trago vorbei! Davor könnt ihr euch hier schon mal von den Bildern auf Instagram inspirieren lassen: cafetrago & kune.bar.