Ein freier Tag liegt vor mir und ich freue mich schon länger darauf, ihn mit nichts tun zu verbringen. Ich stelle mir vor, wie ich morgens gemütlich einen Kaffee trinke, mich danach vielleicht nochmal ins Bett lege mit einem guten Buch, eine Kunstgalerie am Nachmittag besuche oder gepflegt den Fernseher anschmeiße und mich berieseln lasse.
In meiner Vorstellung klappt das ganz wunderbar, aber in der Realität plagt mich das schlechte Gewissen.
Zu lang ist meine To-Do Liste, zu viel muss im Haushalt gemacht werden, um wirklich abschalten zu können. Kennt ihr das auch?
Nichts tun ist gar nicht so einfach
Ich stelle zunehmend fest, dass nichts tun gar nicht so einfach ist. Dabei tue ich ja nicht nichts, sondern widme mich aktiv meiner mentalen Gesundheit, stemme mich gegen die Fremdbestimmung, die ich sonst im Alltag durch diverse Verpflichtungen erlebe und praktiziere die so häufig beschworene Me-time.
Ich weiß, dass mir das gut tut, aber wieso kann ich es so schlecht zulassen?
Um diese Frage zu beantworten, schnappe ich mir das Buch „Nichts tun – Die Kunst, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen“ von Jenny Odell. Bereits auf den ersten Seiten stellt die Autorin fest, dass „(…) das „Nichts“, um das es mir geht, nur vom Standpunkt kapitalistischer Produktivität aus gesehen nichts ist.“ Wow, das muss erstmal sacken!
Wie entzieht man sich der Aufmerksamkeitsökonomie?
Zunächst überrascht mich das Buch von Jenny Odell, da ich davon ausgegangen bin, dass es viel mehr um Social Media geht und wie dort unsere Aufmerksamkeit gefesselt wird. Natürlich ist dies ein Bestandteil der Aufmerksamkeitsökonomie, aber die Autorin sieht darin eher die Spitze des Eisbergs als den wahren Auslöser.
Sie erklärt, dass wir in einer Welt leben, in der wir nicht der hart erkämpften Maxime „acht Stunden Arbeit, acht Stunden Ruhe und acht Stunden für was wir wollen“ folgen, sondern potentiell 24 monetarisierbare Stunden haben und dieser Gedanke erzeugt gehörig Druck. Nichts weniger als das geschieht ja, wenn ich an einem freien Tag nicht zur Ruhe komme, sondern immer das Gefühl habe, etwas Produktives machen zu müssen.
Jeder wache Moment könnte dazu dienen, Geld zu verdienen. Hallo Kapitalismus!
Der Kapitalismus ist natürlich etwas, dem wir uns so schnell nicht entziehen, geschweige denn uns davon lösen können. Aber wir können Strategien entwickeln, uns der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen. Jenny Odell macht dafür unterschiedliche Vorschläge. Dazu gehört aktiv zu hinterfragen, ob durch flexible Arbeitszeiten oder auch remotes Arbeiten nicht einfach nur „die Leine länger wird“ und wir uns gezwungen sehen, ständig erreichbar zu sein.
Sie empfiehlt uns „NOMO“ (necessity of missing out) als aktives Konzept gegen „FOMO“ (fear of missing out) und Nichtstun als Widerstand gegen die Aufmerksamkeitsökonomie.
Dies kann ganz konkret dadurch geschehen, dass man seine Aufmerksamkeit als wertvolle Ressource betrachtet, die nicht allem zuteilwerden und bewusst auf Dinge gerichtet werden kann.
Jenny Odell hat zum Beispiel ihre direkte Umwelt für sich entdeckt und sich der Wahrnehmung der Lebewesen um sich herum verschrieben.
Was nehme ich aus dem Buch mit und wie stehts um mein nichts tun?
Mir hat „Nichts tun“ sehr gut gefallen und viele der Inhalte haben mich zum Nachdenken angeregt. Jedes Mal, wenn ich wieder anfange gestresst zu sein, weil ich etwas vermeintlich unproduktives, wie Mittagsschlaf oder Fernsehschauen machen möchte, erinnere ich mich an die Lektüre.
Gleichzeitig merke ich aber auch, ich bin ein Kind unserer Zeit und kann mich (noch) nicht vollkommen der Aufmerksamkeitsökonomie entziehen.
Vielleicht muss und möchte ich das aber auch nicht? Für mich verschwimmen die Grenzen zwischen meinem Privaten und dem Beruflichen zunehmend. Ich habe viele Projekte, die gleichermaßen stressig, wie auch lehrreich und spaßig sind, sodass ich mich gut fühle, wenn ich daran arbeite.
Nur, Pausen gehören eben genauso dazu und die muss ich mir nicht erst „erarbeiten“ oder „verdienen“.
Jenny Odell wirft viele interessante Sichtweisen auf, über die ich noch lange nachgedacht habe. Spannend ist auch, wie sie ihre Erfahrungen als Künstlerin in die Betrachtung mit einbringt und so immer wieder auch Beispiele aus der Kunstszene und ihrer Berufserfahrung heranzieht. Von mir also eine absolute Leseempfehlung für dieses wichtige Buch, das wohl viele da draußen in den unterschiedlichsten Lebensphasen abholen kann.
Was sind eure Tipps fürs nichts tun und habt ihr weitere Buchempfehlungen, die sich mit dem Thema mentale Gesundheit beschäftigen? Ich freue mich auf eure Kommentare.