Die Dreißiger könnten so schön sein. Mitten im Leben, alles im Griff. Wären da nicht Verpflichtungen, Abhängigkeiten, Verantwortung, Weltschmerz, die Gesundheit. Das Kleingedruckte des Erwachsenenseins. Aber das muss doch auch leichter gehen, denkt LAYERS Autorin Pia. Sie erzählt von ihren Zwanzigern und was sie sich daraus bewahrt, um die Dreißiger zu wuppen.
Ich stecke mitten in meinen Dreißigern. Und ich muss sagen, sie gefallen mir gut. Ich arbeite erfolgreich in meinem Traumjob, lebe mit meiner großen Liebe und meinem großartigen Kind in meiner Lieblingsstadt. Ich bin gesund, habe ein schönes Zuhause und ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Familie. Ich reise einen Großteil des Jahres durch die Welt und habe tiefe Freundschaften mit Menschen, die ich eindeutig zu wenig sehe.
Ich bin meistens müde, komme weniger zum Sport als ich gerne würde, und fühle zu oft Weltschmerz.
Weil es eindeutig zu viele rechte Idioten gibt, misogyne Strukturen, den Klimawandel und… na ja ihr wisst schon. Kurz: Ich bin happy. Ich habe ein richtig gutes Leben. Ein Leben voller Privilegien, die ich sehr zu schätzen weiß. Das nur mal vorne weg bei aller Kritik an diesem Erwachsenending. Was ist denn dann eigentlich ihr Problem, fragt ihr euch jetzt?
Hilfe, wir werden zu unseren Eltern
Mein Problem? Es ist manchmal so wenig leicht. Es kommt mir vor, als wäre es so viel schwieriger geworden, spontan zu sein, als wäre weniger Raum, ausgelassen zu sein, als koste es so viel mehr, unvernünftig und albern zu sein. Muss das so sein? Ich ertappe mich dabei, wie ich mit dem Gedanken spiele, einer Abendverabredung abzusagen, um eine Serie zu schauen und zu chillen. Und ich habe mich neulich tatsächlich dabei erwischt, wie ich einen richtigen Oma-Kommentar über aktuelle Mode gemacht habe. Und schaue ich mich um, habe ich auch bei meinen Freundinnen und Freunden das Gefühl, sie entwickeln sich zu ihren eigenen Eltern.
Die Menschen, die vor nicht all zu langer Zeit Bier aus Schläuchen getrunken haben, gehen nun am Samstagnachmittag zum Chorkonzert und wohnen in Einfamilienhäusern im Vorort.
Solche Häuser, in denen wir früher Partys geschmissen haben, wenn die „Alten“ verreist waren. Himmel kamen uns diese Häuser spießig vor. An all diesen Lebensveränderungen ist natürlich erstmal nichts Schlechtes. Bier aus Schläuchen zu trinken, ist schließlich nicht besonders erstrebenswert und die Häuser meiner FreundInnen ziemlich schön. Und das Chorkonzert… na ja, dazu fällt mir nichts ein. Ich frage mich nur, wann und wie ist das passiert? Und warum sind wir dabei so viel weniger albern, tanzen nur noch so selten und machen spontan etwas Verrücktes?
Die wilden Zwanziger
Muss Erwachsensein so sein? Ich meine, das ganze Erwachsenenzeug passiert doch sowieso, wieso müssen wir auch noch ständig darüber reden und es uns darin so bequem machen? Die Zwanziger sind gefühlt doch gerade erst zu Ende gegangen und doch kommen sie mir plötzlich vor wie aus einem anderen Leben. Zugegeben, meine Zwanziger waren verrückt. Es gab in meinem Umfeld auch immer die, die in der Zeit schon ihr Dual-, Jura- oder Medizinstudium erledigt und direkt den Karriere-Turbo angeschissen haben. Sie haben meinen größten Respekt. Ich gehörte eher zu der anderen Sorte.
In mir brodelte so ein Feuer, ich wollte Neues kennenlernen, die Welt sehen, mich richtig austoben, lernen, war hungrig nach Selbstbestimmtheit und Abenteuer.
Ich habe auch immer gearbeitet, aber nebenher in Aushilfsjobs, um den ganzen Spaß zu finanzieren. Zehn Jahre Vollgas. Die Schule beenden, aus der Heimat weg gehen, Praktika, Ausland, Studium, Nebenjobs, WGs, Partys, Freundschaften, Begegnungen, Bekanntschaften, Liebschaften. Und dann waren da Umzüge, die erste eigene Wohnung, die feste Beziehung, der erste richtige Job, Fehler machen, lernen, das erste Geld (das direkt für jede Menge Fernreisen drauf ging). Später habe ich mein eigenes Business gegründet, mich selbstständig gemacht, barfuß am Strand geheiratet, den Traum Bulli erfüllt, mein Kind bekommen, ein Buch geschrieben. Puh.
Man wird ja auch klüger…
Vielleicht können die Dreißiger im Vergleich zu den Zwanzigern nur etwas weniger spaßig wirken. Und ehrlich, ich trauere der Zeit nicht hinterher. Ich bin der festen Überzeugung, alles hat seinen festen Platz im Leben, seinen perfekten Zeitpunkt. Mein Körper würde den Alltag, den ich mit Anfang 20 gelebt habe, heute wohl keine Woche mitmachen.
Dieses Leben, so frei, so unabhängig, so ohne Verpflichtung und ein Alltag, in dem man so wenig braucht zum Leben, wäre heute nicht das gleiche.
Dennoch möchte ich diese Zeit nicht missen und vermisse diese Leichtigkeit und Spontanität manchmal. Ich frage mich also: Wie zur Hölle kriege ich dies in meine aktuelle Lebensphase untergebracht? Zum einen hilft es mir, erstmal anzuerkennen, dass ja nicht alles weg ist. Ich höre immer noch auf meinen Bauch, liebe es immer noch, lebensverändernde Entscheidungen zu treffen und schwimme häufig gegen den Strom, wenn es sich für mich gut anfühlt. Ich weiß, was ich will und was ich nicht will.
Nur sind dies eben andere Dinge und ich tue sie bewusster, mit mehr Vertrauen in mich, mein Umfeld, die Zukunft, ohne Drama und mit mehr Plan.
Man wird ja auch klüger. So habe ich zum Beispiel gelernt, ab und zu mal nachzudenken, bevor ich meine Gedanken teile (jap, großes Learning, dass eine große Klappe nicht immer hilft – Überraschung!). Zum anderen habe ich Familie, Verpflichtungen und Faktoren, die von meinen Entscheidungen abhängig sind. Zwangsläufig bin ich offensichtlich deutlich vernünftiger geworden.
Das Kleingedruckte des Erwachsenseins
Das ist wohl das Kleingedruckte des Erwachsenseins. Kein Wunder, wir haben so viel zu beachten. Da ist das liebe Geld, das uns mehr Luxus ermöglicht als es den meisten in den Zwanzigern möglich ist. Aber wir brauchen auch so viel mehr davon (überraschenderweise kostet die Vier-Raum-Wohnung mitten in Leipzig deutlich mehr als das Zimmer in der 10-Personen-WG in Kapstadt und so ein Kind braucht erstaunlich häufig neue Klamotten). Mit dem Erwirtschaften des Geldes gehen die nächsten Themen wie Verpflichtungen, Verantwortungen, Kapazitäten im Kontext Job einher. Und dann sind da auch noch der Haushalt, die Gesundheit, Familienmitglieder… Die ganze Ladung Mental Load und der Weltschmerz aus der Klimakrise, Diskriminierung, sterbende Menschen auf dem Mittelmeer, Krieg und fehlende Gleichberechtigung. Ich könnte die Liste weiterführen, aber, ihr wisst, was ich meine, ihr seid ja auch erwachsen. Wichtig ist doch:
Diese „Erwachsenen-Themen“ rauben uns offensichtlich den Platz, der für Leichtigkeit, Spontanität und all diese feinen Dinge da ist.
Also müssen wir aufräumen, denke ich. Im Gehirn, im Leben. Aber wie kann das aussehen? Mir helfen schon vermeintlich einfache Sachen: Viel Lachen, mich selbst nicht zu ernst nehmen, barfuß laufen und in Pfützen springen und offen bleiben. Ich baue Spontan-Tage in meinen Alltag ein, an denen nichts geplant und alles aus dem Bauch heraus entschieden wird. Ich hinterfrage, ob ich etwas tue, weil es vermeintlich von mir erwartet wird, weil es gesellschaftlich so sozialisiert ist oder weil ich es will. Ist dies mein Traum?
Dinge, die ich in diesem Moment nicht ändern kann, schenke ich nicht mehr als zehn bis 15 Minuten meiner Aufmerksamkeit.
Und: Ich übe mich in mehr Offenheit gegenüber anderen Träumen und neuen Trends. Ich muss ja nicht ins Chorkonzert gehen oder das Einfamilienhaus auf dem Dorf bewohnen. Aber ich kann meine FreundInnen dafür feiern, dass sie tun, was sie glücklich macht. Ich feiere vielleicht nicht mehr wie mit 20 auf einem Festival, aber mit Sicherheit lerne ich neue Bands und das Feiern nochmal neu kennen. Und wer weiß, vielleicht sehe ich in Schlaghosen ja eigentlich ziemlich scharf aus?!
Lasst uns unvernünftig sein!
Verantwortung, Abhängigkeit, Verpflichtungen. Ohne, scheint dieses Erwachsenending nicht zu funktionieren. Wir können nur versuchen, diese anzunehmen und sie zumindest so zu füllen und zu gestalten, dass sie uns erfüllen. Und wie wäre es mit einem Pause-Tag? An dem wird sich um nichts gekümmert, was nicht lebensnotwendig ist. Lasst uns feiern, dass wir dieses Leben wuppen und Menschen, die einen Weg wählen, der nicht unserer ist, auf ihrem Weg besuchen, statt sie zu kritisieren.
Lasst uns doch mal mehr feiern, dass wir am Leben sind, dass wir das alles auf die Reihe kriegen.
Lasst uns doch mal gemeinsam wieder unvernünftig sein, groß träumen, mehr lachen, uns öfter mal eine High-Five geben und auf die Schulter klopfen. Lasst uns doch mal das Leben nicht so ernst nehmen, öfter mal nachfragen, uns weniger rechtfertigen und gemeinsam tanzen gehen oder Neues ausprobieren. Lasst uns mal nicht alles auf später schieben, nicht aufhören zu träumen, lasst uns Fehler machen. Lasst uns ein bisschen Zwanziger-Feeling behalten. Alles andere kommt eh von ganz alleine. Lasst uns dieses Erwachsenending mal nicht so erwachsen machen!