Gastautor Stephan Franck über Kunst & Kultur
Es ist ein wundervoller Nachmittag im April und ich bin genervt von dieser Jahreszeit. Ich bin in Leipzig und habe mich durch einige Künstlergespräche für verschiedene Projekte gewissermaßen gequält. Es sind jedoch weder die Künstler noch der Frühling, es sind Baumpollen, die mich plagen. Es ist wie ein unsichtbares Gift. Überall vorhanden und überaus tödlich.
Doch plötzlich habe ich diese Eingebung, die mich die Pein ein wenig vergessen lässt. Ich zögere keine weitere Sekunde und ziehe das Telefon aus meiner Hosentasche. Durchwahl: Ehud Roffe. Es tönt nur zwei Mal, dann erklingt die sympathische Stimme von Ehud Roffe alias Ehud Goldstein alias DJ Desert Niggu. Ehud ist ein Naturtalent, ein Multiplikator und Anziehungspunkt für alle wahnsinnigen Neuigkeiten im Real Life und auf Facebook. Ehud liebt Facebook. Das Allroundtalent kann jedoch noch mehr. Seit Februar 2015 spielt er als Laiendarsteller seine Lebensgeschichte in dem ziemlich erfolgreichen Theaterstück der Dresdner Bürgerbühne namens „Mischpoke“. Ebenfalls seit letzem Jahr ist er in Leipzig beheimatet ist Koch im Rudi im Leipziger Westen. Dort ist er Profi für Gerichte des Nahen Ostens. Doch zurück zum Telefonat. Ehud geht ans Telefon. „Ey Stephan Franck“ hört man unmerklich laut durchs Mikro. „Was geht?“ Ich sage so etwas, wie heute und Interview. „Geht klar, halbe Stunde Lindenauer Markt. Wir fahren 1 Stunde herum, ich erzähl dir was, du schreibst auf.“
Gesagt getan. Ehud Roffe wartet mit seiner original 80’s Ray Ban Sonnenbrille, lässigem T-Shirt, noch lässigeren Jeans und heißen Sneaker eine halbe Stunde später an der teilAuto-Abholstation am Lindenauer Markt. Handshake und Umarmung und schon kann es losgehen. Wir fahren die Merseburger Straße entlang und Ehud ist genervt – Autos kommen entgegen, sie können nicht ausweichen. Während er weiter in der Straßenmitte fährt und ich mir flink die Sonnenbrille über die Augenbrauen ziehe, erzählt er mir etwas davon, dass man in Leipzig voll Gangster sein kann, mit oder ohne Auto. Ohne Scheiß, frage ich. „Ohne Scheiß, man!“ Wir halten vorm Rudi. Ich bekomme eine eiskalte Club Cola (Danke Alex Usunov!) und aus Andres-Getränkeshop die wahrscheinlich besten Schokokekse mit weltbestem Schokoüberzug. Ein Bissen weiter stehen wir bereits vor dem PingPing, dem neuen Schwesteretablissement des Rudi. Hier gibt es hervorragende asiatische Küche und ebenso heiße Mädels, wie im Rudi. Aber ich schweife ab. Während wir so gangstermäßig auf dem Fußweg vor dem Laden warten, wird das Auto mit allerhand Pappe und Leergut beladen. Mit seiner charmanten Art steigt mein Interviewpartner ein, dreht den Zündschlüssel, es geht weiter. Zettel und Stift sind in der Zwischenzeit gezückt, das Interview kann beginnen. Wir fahren die Karl-Heine runter, biegen auf die Zschochersche Richtung Wertstoffhof. Ehud schaut bereits ungeduldig über seine Sonnenbrille zu mir herüber. Ich beginne meine Fragen mit einer Auflockerungsübung.
Ehud, du bist tätowiert. Was hat das für einen Sinn?
Das hat keinen Sinn! Warum hat man denn Tattoos? Ich mag sie halt und komme ursprünglich aus der Hardcore Ecke. Da hat man so etwas. Aber. Das erste Tattoo hat mir meine Mama zum 14. Geburtstag geschenkt. Das ist ein hässliches Drachentattoo auf meinem Bein.
Und sonst bist du ja überall tätowiert. Man sagt, wenn man als Jude tätowiert ist, darf man nicht auf dem Friedhof begraben werden, stimmt das?
Ja, das stimmt. Man wird außerhalb des Friedhofs begraben. Das ist für diejenigen, deren Körper „verunreinigt“ sind. Es gibt aber extra Firmen, die brennen das einfach weg. Dann darf man wieder auf den Friedhof beerdigt werden.
Wie bist du nach Deutschland gekommen?
Ich habe Paul Barsch aus Deutschland in Utrecht kennengelernt. Zuvor habe ich ihn allerdings nach Israel gebucht. Damals waren wir noch mit meiner Hardcore Band namens Suckinim Baenaim (hebräisch: Messer in den Augen) aus Israel überall unterwegs. Paul hat uns dann gebucht. Ich habe mit zwei Freunden eine neue Band gegründet und bin dann in Deutschland geblieben. Es war schön hier abzuhängen. Und irgendwann bin ich dann in Dresden, in der Neustadt geblieben. Das war eine fette Zeit.
Da war doch noch das Thema mit der Armee?
Ja, das war lästig. Der Militärdienst geht in Israel 3 Jahre. Ich wollte das nicht, ich bin Pazifist. Also habe ich versucht, den Dienst zu verweigern (Thematisiert wird dieser Teil seiner Lebensgeschichte in dem Theaterstück „Mischpoke“). Ja und wenn du da raus bist, bist du gleichzeitig unpatriotisch. Du kriegst keine gut bezahlten Studentenjobs und überhaupt bist du am Arsch. Wenn du einen Job willst, fragt dich jeder zuerst ob du gedient hast. Also bin ich froh hier zu sein. Aber ich hasse mein Land nicht dafür, das ist halt so und nervt.
Was hat dich an Dresden begeistert?
In Dresden ist immer Action. Ich habe dort das T-Shirt und SHAKSHUKA Festival aufgezogen und eine Menge Partys organisiert und für die Scheune habe ich sicher 10 Tonnen Zwiebeln geschält. Dann habe ich „Goldstein Raid“ organisiert. Das war eine 24h Party an 12 verschiedenen Spots in der gesamten Neustadt. Überall war etwas anderes. Gleichzeitig habe ich dann mit Credit 00 (Rat Life Records/ Uncanny Valley), zusammen angefangen Musik zu machen.
Wo kann man dich spielen sehen?
Überall. Letztens habe ich mit Konse im Conne Island gespielt, letzte Woche war ich mit Credit 00 in Krakau. Credit ist Profi.
Warum nennst du dich Desert Niggu? Das ist doch ziemlich abwertend, oder?
Nee. Ich komme halt aus dem Süden, aus der Wüste. Und der Zusatz Niggu ist einfach eine Chiffre für Zusammenhalt und Coolness. Da ist kein Rassismus oder sonst etwas. Außerdem bin ich Israeli. Als Deutscher würde das schon ein bisschen komisch klingen, klar.
Was hat dich veranlasst nach Leipzig zu ziehen?
Irgendwie hat Marcel Baer vom Künstlerduo Doppeldenk erfahren, dass ich in Dresden einen beschissenen Job in der Scheune habe. Er hat seinem Mitbewohner Alex Usunov vom Rudi von meiner Misere erzählt. Er wollte gerade eine neue Küchencrew aufstellen. Ich bekam einen Anruf von Alex, jetzt bin ich in Leipzig. Wir sind alle durch Musik ziemlich miteinander verwachsen. Das ist unsere gemeinsame Sprache. Ziemlich fett.
Soviel zu deinem Werdegang. Was kannst du über deinen Status sagen. Du hast nach 7 Jahren immer noch kein unbegrenztes Visum für Deutschland, woran liegt das? Du arbeitest sehr hart und bist ein Musterbeispiel für Integration. Du solltest das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen!
Danke! Ich kann es dir ehrlich gesagt nicht genau sagen. Ich weiß nur soviel: Die Ausländerbehörde ich Sachsen ist leider nicht so geil. Ich bin seit 7 Jahren in Deutschland und habe meine Pflichtanteile für die Rentenversicherung, die für ein dauerhaftes Visum notwendig sind, eingezahlt. Doch ich warte immer wieder aufs Neue. Stell dir mal die Situation der Flüchtlinge vor, unglaublich! Aber ich mache weiter. Es nützt nichts, dunkel zu denken, oder wie sagt man hier?
Ehud, ich finde, dass du eine bemerkenswerte Persönlichkeit bist, die ihre Chancen auch uneigennützig nutzt. Warum bist du bspw. soviel Online. Erzähl doch bitte von deiner Facebook-Affinität und deinem Iphone.
Ich nutze Facebook als Support für Freunde und für Sachen die ich toll finde. Mittlerweile ist meine Seite zu einem Sammelpunkt für alle möglichen Leute geworden, die sich über mich connecten. Aber ich kommuniziere auch mit der Welt und bin gerne da, wo meine Freunde sind.
Kann man sagen, dass du dein Telefon liebst? Bist du süchtig?
Nein, ich bin nicht süchtig. Wenn ich online bin, bin ich online, wenn nicht, dann nicht. Aber ich bin immer online. Reicht das als Antwort?
Ich glaube schon. Als Weltbürger und Leipziger kannst du sicher ein paar Ausgehtipps geben. Wo gehst du gern hin?
Ich bin gern dort, wo meine Freunde sind. Aber das sagte ich schon. Also wir reden von Clubs, ja? Also zuerst fand ich das XX Superkronik ziemlich gut. Jetzt bin ich aber sehr gern im IFZ, weil man dort auf eine ganz besondere Art und Weise anonym sein. Das mag ich generell an Leipzig.
Kannst du das genauer erklären?
Leipzig ist so groß, dass man sich verlieren kann. Gleichzeitig kann man sich aber auch finden. Man kann für sich sein, wenn man das will. Das ging in Dresden nicht so gut – ziemlich cool.
Wir biegen in den Werkstoffhof ein und Ehud stellt mir dort einen Mitarbeiter als Freund vor. Immer wieder bringt mich der Kerl zum staunen. Verblüfft stelle ich meine letzten Fragen an Ehud Roffe bevor wir wieder zurück nach Lindenau fahren.
Was hat es mit diesem Typen auf sich, den du gerade gegrüßt hast?
Der ist ziemlich nett. Ich mag den Typen und er arbeitet an diesem Ort.
Wir sprechen von Orten. Welchen Ort magst du in Leipzig ganz besonders und warum?
Das ist genau hier, diese Müllhalde. Hier ist alles ehrlich, hier gibt es kein Fame, sondern nur die nackte Wahrheit. Hier ist sie, die Konsumgesellschaft. Das bringt einen ein Stück weit runter, weißt du?!
Kannst du abschließend sagen, was du gar nicht magst oder sogar hasst?
Ich bin ein positiver Mensch. Ich hasse nichts und niemanden. Ich mag reflektierte Menschen, das ist alles.
Wir verlassen den Wertstoffhof. Zufrieden fahre ich mit meinem Freund Ehud Roffe alias Ehud Goldstein alias Desert Niggu ohne Gangsterallüren zurück in den Westen. Dort steige ich aus dem Wagen, bedanke mich herzlich für das Interview und bin danach froh in den klimatisierten Zug nach Dresden einzusteigen. Keine Pollen, endlich.