Warum es sich mit leeren Einkaufstüten besser lebt
Sie wollen uns vieles verkaufen, Handy, Autos, Uhren. Immer und immer wieder. Sollen sie es nur versuchen! Die Wahrheit ist: Sie werden darauf sitzenbleiben, solange wir ihnen ihre Versprechen nicht abkaufen. Auch wenn sie noch so gut sind. Die Werbebranche suggeriert uns, dass wir nur noch einen Kauf vor dem ultimativen Glück stehen. Dass der nächste Kauf uns zu einem besseren Menschen macht.
Wir wissen, es stimmt nicht — wollen es aber nur allzu gern glauben. Wer will schon den Anschluss verlieren und blöd dastehen, wenn alle im Trend liegen? Leicht gerät dabei in Vergessenheit, dass unser Glück nicht in den Händen von Elektronikherstellern und Modemarken liegt. Zu den Must-Haves der Saison gehört daher: erstmal gar nichts. Schöner Leben mit leeren Einkaufstüten? Gerne! Fünf Dinge, auf die du getrost verzichten kannst.
Fast Fashion, fast zerrissen
Es gab einmal Zeiten, in denen das Jahr in modischer Hinsicht aus zwei Hälften bestand: Sommer und Winter. Heute haben große Modeketten praktisch jede Woche eine neue Kollektion und Preise, bei denen man einfach zugreifen muss! Das Schöne an „Fast Fashion“ scheint zweifellos: schicke Klamotten im neusten Stil für wenig Geld. Täuschen lassen solltest du dich jedoch nicht: Die Kleidung für wenig Geld hat ihren Preis. Ständig neue Farben, Schnitte und Muster verstopfen deinen Kleiderschrank und am Ende benötigst du immer mehr, um passende Outfits zusammenstellen zu können.
Die Mode-YouTuberin Justine Laconte jedenfalls meint: „Durch Fast-Fashion haen wir zwar volle Kleiderschränke, aber nichts zum Anziehen.“ Dazu kommt: Billig hergestellte Kleidung geht schnell kaputt, die Fasern gehen auf, die Farben verblassen. Ein paar Wochen später wirkt die Mode schon überholt. Lacontes Tipp: Besorg dir Kleidung in nur drei unterschiedlichen Farben, mit verschiedenen Mustern und Texturen. Kauf dir hochwertige Basics, also simple, alltagsfähige Kleidung. Und spar dir den Stress, den ewig hungrigen Kleiderschrank immer wieder mit Neuem zu füttern.
„Wer die Uhrzeit immer im Blick hat, verbietet sich den Genuss des zeitlosen Treibenlassens.“
Eine Armbanduhr
Die Sonne scheint in unseren Breiten ohnehin selten genug. Und dann sollst du ein wertvolles Stück körperlicher Peripherie unter schattiger Technologie verstecken? Armbanduhren haben viele folgenschwere Nachteile und unterschätzte Risiken – Rückenprobleme durch die einseitige Belastung der Wirbelsäule sind nur ein Beispiel.
Wer die Uhrzeit potentiell immer im Blick hat, verbietet sich den Genuss des zeitlosen Treibenlassens. Das Joch am Arm erinnert uns mit jedem Tick und jedem Tack permanent an unser unaufhaltsam nahendes Ende. Und wenn nicht daran, dann doch an die nächste Deadline und all die Aufgaben und Pflichten, die noch erledigt werden müssen. Wer kann noch genüsslich rumlümmeln und den Tag genießen, wenn der vom Handgelenk aus unbarmherzig in 60 mal 60 mal 24 Einheiten zerhackt wird – nur um dir mitzuteilen: Bald ist es auch wieder vorbei!
Wer dringende Termine einzuhalten hat, dem sei geraten: Frag mal wieder nach der Uhrzeit! Orientier dich am Sonnenstand, den Sternen, dem Glockenturm, den digitalen Anzeigen im Stadtbild. Und wenn‘s ganz dringend ist: Halt immer ein bisschen Kleingeld für die Telefonzelle bereit, ein Anruf in Hamburg (040 428990) hilft dir aus der Patsche. Piep. Beim nächsten Ton ist Ihre Armbanduhr ein überflüssiges Stück Vergangenheit. Piiiep.
Die Mitgliedschaft im Fitnessstudio
Schnaufen, röcheln, prusten, aufgeben, aufraffen, wieder aufgeben und erstmal liegenbleiben – wer das braucht, muss sich dafür nicht Dutzende Euro im Monat aus der Tasche ziehen lassen. Abgesehen von der Tatsache, dass der muskulöse Körper häufig nur in unserer Vorstellung lebt. Der regelmäßige Gang ins Fitnessstudio sowieso. Das kannst du dir sparen!
Statt dich sinnlos auf Laufbändern und mit Stahlstangen zu quälen, kannst du einfach die Bewegung des Alltags wieder für dich entdecken. Sie ist natürlicher und kommt ohne Fitness-Gurus und Spiegelwände aus. Lauf von der Arbeit nach Hause, sei als Erster beim Umzug von Nachbarinnen und Freundinnen auf der Matte und zieh deine verpennten Mitbewohnerinnen aus dem Bett – je mehr Gegenwehr, desto besser. Denn: Zu zweit macht Sport Spaß. Am besten sogar im Freien. Einer zieht sich einen zu großen, grauen Sweater mit Schriftzug über („COACH”, selbst aufgemalt, kommt gut) und feuert an. Dazu gehören unbedingt nichtssagende Ratschläge – schon hast du einen Fitnesstrainerin: „Komm’ schon! Du musst es mehr wollen!“ So leicht kann Fitness sein!
Der Tee für jede Lebenslage
Wasser ist fad. Tee ist cooler. Das hat die Wirtschaft, besonders im Öko-Yogi-Bio-Sektor auch schon kapiert. Denn wer heute „mal schnell noch einen Tee“ kaufen möchte, wird bei der aktuellen Auswahl wahrscheinlich etwas länger brauchen. Mittlerweile lässt sich der Tee-Sektor nämlich immer mehr einfallen, um seine Produkte scheinbar perfekt an die Gemütszustände, ästhetischen Ansprüche und Lebensphasen der Kundinnen anzupassen.
Ob bei Nervosität, Midlife-Crisis, sogenannten „Frauenproblemen”, Freude, Geburtstag oder Ruhebedürfnis – es gibt garantiert für jeden dieser Umstände eine Teesorte. Meist auch noch passend zur Kücheneinrichtung in rosa mit Blumenranken, gerne auch mit Lettern in Sanskrit. Dabei reicht meist eine Sorte Tee, um die Bedürfnisse desder Konsument*in zu stillen: nämlich Durst, das wohlige Teewärmegefühl oder einfach Lust auf was anderes als Wasser. Eine Knolle Ingwer, ein wenig Minze oder Kräuter aus dem Garten tun es auch. Die Verpackung macht das Trinkerlebnis nicht besser.
„Bald wirst du merken, dass du die Funktionen deines Smartphones nie wirklich gebraucht hast.“
Ein neues Smartphone
Elektronikhersteller beschäftigen Armeen hochintelligenter Ingenieurinnen und Marketingexpertinnen, um dafür zu sorgen, dass wir uns möglichst oft einen neuen digitalen Begleiter zulegen. Tatsächlich gibt es kaum ein Gerät, das häufiger ohne Not neu gekauft wird. Denn obwohl das alte noch funktioniert, brauchen wir alle jetzt diese oder jene Funktion, die wahlweise die Kommunikation mit unserem Freundeskreis oder den Erfolg in Studium und Beruf endlich auf das nächste Level heben werde.
Die Wahrheit ist: Das meiste davon ist glatte Lüge! Um deine Termine im Blick zu haben, reicht seit jeher ein stromsparender Taschenkalender. Du möchtest außerdem über die Weltlage auf dem Laufenden bleiben? Eine Tageszeitung liefert nicht nur mehr Hintergrund als die knappen Onlinemeldungen deiner News-App, sie lässt sich auch wunderbar mit den Mitreisenden in der S-Bahn teilen. Aber Spaß beiseite: Die 16-Megapixel-Kamera brauchst du wirklich nur, wenn du vorhast, Poster deiner Urlaubserinnerungen zu drucken.
Deiner Familie hatten die körnigen Selfies vorher eigentlich auch genügt. Wenn du es wirklich wissen willst: Probier‘s mal ganz ohne Touchscreen. Bestimmt hat noch jemand irgendwo ein altes Tastenhandy herumliegen. SIM-Karte einstecken, den Akku für die kommenden 10 Tage aufladen, und los geht‘s. Bald wirst du merken, dass du die Funktionen deines alten Smartphones nie wirklich gebraucht hast.
Dieser Artikel erschien in der vierten transform Ausgabe zum Thema „Kinder“. Die transform Redaktion hat sich in dieser Ausgabe gefragt, ob wir wirklich Kinder brauchen, um glücklich sein zu können und was an dieser Idee vielleicht sogar schon falsch sein könnte.
Foto: Simon Maage via Unsplash
Unser Interview mit transform Herausgeber Richard lest ihr hier. Das sehr lesens- und anschauenswerte Magazin könnt ihr hier bestellen.