Autorin Pia Maack fragt sich, wie wir im Bewerbungsprozess wirklich punkten und wie zeitgemäß Firmen vorgehen
Wer auf der Suche nach einem neuen Job ist, kommt an Bewerbungsgesprächen meist nicht vorbei. Doch das erste persönliche Treffen mit zukünftigen ChefInnen und KollegInnen ruft nicht selten Nervosität hervor. Wie schick soll ich mich anziehen? Verschweige ich meine Kinder und was antworte ich eigentlich auf die Frage, was meine Schwächen sind? Ich mache mich auf die Suche nach Antworten und spreche mit unterschiedlichen Angestellten aus unterschiedlichen Branchen. Sie alle eint, dass sie Teil von den Einstellungsprozessen ihrer Firmen sind. Ich will wissen: Wie ehrlich sollen wir sein? Und – welchen Preis darf die Traumstelle haben?
Wie wichtig sind Äußerlichkeiten für den neuen Job?
Bevor wir unseren potenziellen zukünftigen KollegInnen gegenübertreten, steht die Frage nach dem richtigen Outfit im Raum. Schick, aber nicht zu overdressed, lässig aber nicht schluderig. Was wollen unsere Gegenüber sehen? „Sie kam in sportlicher Hose zum Bewerbungsgespräch, da haben wir sie trotz fachlicher Kompetenz nicht eingestellt“, erzählt mir beispielsweise Andrea. Die stellvertretende Institutsleiterin einer Universität ist seit acht Jahren Teil von Bewerbungsgesprächen. Für sie und ihr Team spielen Äußerlichkeiten neben den inhaltlichen Qualifikationen eine entscheidende Rolle, sagt sie. Puh, ich schlucke. Ist das noch zeitgemäß?
„Sie kam in sportlicher Hose zum Bewerbungsgespräch, da haben wir sie trotz fachlicher Kompetenz nicht eingestellt.“
Eine Bewerberin habe man sogar mal abgelehnt, weil sie an den Armen stark tätowiert war. „Wäre Winter gewesen und ich hätte die Tattoos wegen langer Kleidung nicht gesehen, wäre meine Entscheidung eine andere gewesen“, erinnert sich die junge Frau. Laut der Süddeutschen Zeitung hat jeder dritte Mensch zwischen 30 und 39 Jahren Tattoos, ich inklusive. Die Vorstellung deshalb einen Job nicht zu bekommen, schockiert mich. Wäre es nicht an der Zeit für weniger Konservatismus in Bewerbungsgesprächen? Für Valeria geht es in Sachen Äußerlichkeiten der Bewerbenden „nicht um das Aussehen, sondern um eine gepflegte Erscheinung.“ Die Assistentin der Geschäftsführung in einem inhabergeführten Familienunternehmen in der Baubranche erklärt mir, dass ein angemessenes Outfit nicht nur Respekt widerspiegele, sondern man MitarbeiterInnen auch als RepräsentantInnen des Unternehmens sehe. Respekt also, klingt für mich schon besser, doch irgendwie immer noch altbacken, oder?
Wie viel Benimmregeln muss ich kennen?
Aus Mats Mund klingt das etwas anders. Bewerbende seien gut damit beraten, sich nicht zu verkleiden, sich stattdessen gepflegt und höflich zu verhalten, rät mit der Personalleiter in einer Marketing-Agentur. „Sicher kommt es immer auf die Branche, die Stelle und die Position an, wie schick man sich kleidet“, gibt er mir zu verstehen und rät: „Wer ganz unsicher ist, kann im Vorfeld nach einem Firmen-Dresscode fragen.“ Das klingt logisch – die Mitarbeiterin in einer klassischen Bank kleidet sich natürlich anders als der Mitarbeiter in einem hippen Start-Up in Berlins Viertel Prenzlauer Berg. In Sachen Manieren muss man aber vorher nicht extra Knigge inhalieren, ergänzt Mats. „Die Grundlagen sollten eben stimmen.“ Dazu gehöre zum Beispiel ein pünktliches Erscheinen. Bewerbende sollten sich außerdem nach der Begrüßung aller Anwesenden erst hinsetzen, wenn es auch die anderen im Raum tun, so der Experte. Er empfiehlt besonders Menschen, die sehr aufgeregt und ungeübt sind, sich vorher ein paar ‚Spielregeln‘ aufzuschreiben und ein Bewerbungsgespräch durchzuspielen. Die Trockenübung bringe Sicherheit und eine Portion Gelassenheit für den „Ernstfall“. Also frisch duschen, schlichter schicker Zwirn und höflich zurückhaltendes Verhalten bei der Begrüßung – klingt machbar. Und gibt es einen Ice Breaker für einen unverkrampften Start? „Ein Bisschen Smalltalk über die Anfahrt und das Wetter sorgen direkt für Gesprächsstoff, um sich aneinander ranzutatsten“, empfiehlt der Profi. Auf die Frage ob man was trinken wolle, so Mats, könne man gut nach einem Glas Wasser fragen: „Wenn man mal nicht weiß wohin mit seinen Händen oder bei einer Frage etwas länger nachdenken will, hat man so einen kleinen Helfer, auf den zurück gegriffen werden kann.“
Wie ehrlich ist zu ehrlich?
Wer es angezogen auf den Stuhl im Bewerbungsgespräch geschafft hat, muss sich den Fragen von PersonalerInnen und ChefInnen stellen. Oft drehen die sich um den eigenen Lebenslauf, das Unternehmen und fachliche Kompetenzen. Wie viel sollten wir dabei für die größten Chancen auf den Job preisgeben? „Ich würde auf keinen Fall empfehlen, im Bewerbungsgespräch nicht ehrlich zu sein“, ist sich Michael sicher. Der Vice President eines Automobilzulieferers mit rund 250 MitarbeiterInnen empfiehlt, alles wahrheitsgemäß zu beantworten, das nach kurzer Zeit im Job negativ hervortreten könnte. „Das wäre direkt ein Vertrauensbruch und Vertrauen ist einer der wichtigsten Werte für eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Job“, weiß er aus eigener Expertise. Klar, denke ich, das ist natürlich peinlich, wenn ich einen Job auf Grund einer Lüge bekomme, die kurze Zeit später platzt. So wird man nicht grad der Liebling unter den KollegInnen. Aber ein kleines Bisschen übertreiben, etwas hochstapeln für den guten Eindruck – das machen doch alle, oder? „Besonders nach Fragen der Erfahrung und Qualifikation wird gerne etwas geschönt“, berichtet Andrea aus den Bewerbungsverfahren ihres Instituts. Das bringe langfristig mehr Arbeit und Unzufriedenheit für alle Parteien und helfe am Ende niemandem. Die junge Frau rät sogar dazu, zu erwähnen, wenn man in einem angeforderten Bereich noch Defizite hat. Das wirke im Zweifel sogar sympathisch. „Wir haben mal jemanden eingestellt, der im Gespräch sagte, dass er mit unserem System noch nie gearbeitet hat, aber es lernen möchte. Das fanden wir toll.“
„Aber ein kleines Bisschen übertreiben, etwas hochstapeln für den guten Eindruck – das machen doch alle, oder?“
Welche Lücke im Lebenslauf ist die „richtige“?
Jedoch weiß Andrea aus eigener Erfahrung, dass es Punkte gibt, die sie selbst verschweigen würde: „Kognitive und psychische Probleme sind leider – zumindest bei uns im öffentlichen Dienst – ein Ausschlusskriterium bei Bewerbungen. Selbst wenn diese in der Vergangenheit liegen und die Qualifikation herausragend ist“, bedauert sie. Puh, harter Tobak, denke ich. Ob das die Realität auf dem Arbeitsmarkt ist? Ich mache mir eine Notiz für ein neues Recherchethema, das mir zu groß erscheint, um nur ein kleiner Teil dieser Kolumne zu sein. Generell seien Lücken jedoch nicht immer etwas schlechtes, erklärt Michael. „Gut ankommen, tun bei mir Dinge, die etwas über die Persönlichkeit der Bewerbenden aussagen und über die fachliche Qualifikation hinausgehen. Zum Beispiel Reisen.“ Lücken im Lebenslauf sind also okay, aber bitte nur „coole“? Eine Grauzone, findet Mats: „Wenn Bewerbende etwas verschweigen, auch wenn wir nicht gefragt haben, sorgt das nicht gerade für gute Stimmung, wenn es ans Licht kommt. Aber damit kann man arbeiten.“ Lügen hingegen seien ein gravierenderes Problem, so der Spezialist. Dies könne sogar zur Kündigung führen! Denn „Lügen im Vorstellungsgespräch werden juristisch immer heikel, wenn es um professionelle und berufsbezogene Fragen geht. Eine Notlüge im Bewerbungsprozess kann noch Jahre danach eine Kündigung rechtfertigen.“ Also doch lieber à la Thomas Manns: „Eine schmerzliche Wahrheit ist besser als eine Lüge“? Am Ende ist es doch so: Wenn ich bei grundlegenden Fragen lügen muss, um den Job zu bekommen; muss ich mir die Frage stellen, ob ich ihn dann überhaupt haben will, denke ich.
Darf ich im Vorstellungsgespräch lügen?
Anders sieht die Rechtslage übrigens bei Fragen aus, die Arbeitgebende nicht stellen dürfen. „Fragen zur Gesundheit, zu persönlichen Ansichten wie Religion oder Parteizugehörigkeit und generelle Fragen zur Person wie Herkunft, Vermögensverhältnissen und Familie sind in Deutschland nicht erlaubt“, erklärt der Personal-Profi. Wenn einem so eine Frage gestellt würde, dürfte man schweigen oder sogar lügen. Oder entscheiden, dass man für dieses Unternehmen nicht arbeiten möchte, denke ich. Kein Wunder überlegen sich neugierige Entscheidungstragende ein Hintertürchen zu den unerlaubten Fragen: „Wir fragen unsere Bewerberinnen im Gespräch, wo sie sich im Zusammenhang mit unserem Institut in zehn Jahren sehen“, schildert Andrea. Mit der vermeintlichen Standardfrage wolle man an der Universität „herausfinden, ob die Familienplanung abgeschlossen ist oder ein zeitnaher Kinderwunsch besteht.“
„Wenn einem so eine Frage gestellt würde, dürfte man schweigen oder sogar lügen.“
Zeitgemäß ist anders. Natürlich dürfe man nicht direkt nach Kindern fragen, gibt Andrea zu. Die Antwort der jeweiligen Person sei auch nicht unbedingt ein Ausschlusskriterium, aber man wolle eben wissen, woran man ist. Schließlich habe „das entscheidende Auswirkungen auf den Arbeitsalltag an der Universität aller Beteiligten.“ Wirklich? Wozu dann die scheinheilige Frage, wenn es kein Ausschlusskriterium ist? Männer haben für Andrea einen ganz klaren Vorteil in Bewerbungsgesprächen. „Frauen müssen sich durchaus mehr beweisen, von ihnen wird mehr erwartet“, und die K-Frage schwinge im Hinterkopf immer mit, sagt sie. Die Feministin in mir krümmt sich vor Schmerzen. Von einer Einrichtung, die sich um das Leben junger Menschen dreht, habe ich nicht erwartet, dass sie in Personalfragen noch in den 50er steckt.
Und was ist mit der K-Frage?
Ist dies die traurige Realität in Bewerbungsprozessen? Männer werden bevorzugt, weil sie eben nicht die Kinder bekommen? Auf den Nachwuchs sind Arbeitgebende übrigens angewiesen. Ohne Kinder gehen Unternehmen irgendwann sowohl MitarbeiterInnen als auch KundInnen aus. „Ganz im Gegenteil!“, erwidert Michael: „Wir suchen händeringend Frauen bei uns. Es ist sicher branchenabhängig, in technischen Berufen gibt es jedenfalls zu wenige Mitarbeiterinnen.“ Ein Lichtblick. Außerdem ist Michael sich sicher: „Es hat sich in fortschrittlichen Unternehmen die Erkenntnis durchgesetzt, dass gemischte Teams deutlich besser funktionieren!“ Der Vice President ist selber Vater und weiß um die Möglichkeiten der Vereinbarkeit, wenn alle Beteiligten wirklich wollen. So langsam dämmert es mir: Es geht nicht nur um die perfekte Stelle, sondern um ein Unternehmen, das zu mir passt, das gefunden werden will. Auch in der Marketingagentur scheint zumindest der Personalleiter mit Vorurteilen aufräumen zu wollen: „Ich kann nicht abstreiten, dass auch ich schon KollegInnen erlebt habe, die Bedenken geäußert haben, junge Frauen in einem ‚gewissen Alter‘ einzustellen“, gesteht Mats. Er habe da eine ganz klare Herangehensweise, mit solchen Situationen umzugehen: „Für mich sind insbesondere Mütter eine wahre Bereicherung für das Team. Oder fallen dir noch andere Menschen ein, die so multitaskingfähig, so belastbarer und so effizient sind?“ Halleluja, denke ich, die selbst Mama ist, recht hat er!
Gibt es eine gute Antwort auf Standardfragen?
Doch zurück zu den Standardfragen: Sie sind so bekannt wie umstritten. Doch wozu sind sie eigentlich gut? „Standardfragen, zum Beispiel nach den eigenen Schwächen, dienen nicht dazu, diese zu erkennen und zufriedenstellend zu beantworten“, erklärt Michael. Der Vice President möchte darüber viel mehr einen „Draht zu Bewerbenden bekommen“. Floskeln wie „Ich bin einfach zu ehrgeizig“ oder „Ich kann kein Feierabend machen“ seien schon lange keine guten Antworten mehr. Klar, aber was wollen Fragende dann hören? „Wir wollen, dass sich Bewerbende wirklich mit der Frage auseinandersetzt haben und die Antwort bestenfalls auch im Zusammenhang mit den Aufgaben steht, die die Position mit sich bringt“, schildert Valeria ihre Erwartungen.
Mats rät BewerberInnen deshalb dazu, sich im Vorfeld ein paar Antworten auf die bekannten Standardfragen zu überlegen und sich ausgiebig mit dem Unternehmen zu beschäftigen. Auch das Bereitlegen von Fragen zum Unternehmen zeige Interesse und Engagement, verrät der Experte: „Die richtigen Fragen können Bewerbenden ganz nebenbei auch ein Bild vom Unternehmen geben. Denn am Ende ist eine Bewerbung nie nur einseitig.“ Und das ist vermutlich der entscheidende Punkt, denke ich. Nicht nur ich bewerbe mich beim Unternehmen, das Unternehmen auf einer Weise auch bei mir. Wenn ich mich verbiegen muss, um antiquierte Ansprüche zu erfüllen, würde ich vermutlich auch im Arbeitsalltag nicht hineinpassen. Vielleicht ist es deshalb auch okay, eine Stelle nicht um jeden Preis bekommen zu wollen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf geht es sich doch direkt viel entspannter in das Vorstellungsgespräch, oder?