Landflucht

Anne Schwerin über junge Gründer

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Landflucht mit Thomas Lingstädt

Ein bisschen trostlos und rau, aber trotzdem irgendwie schön – der Tag, an dem ich Thomas von My favourite Chords treffen sollte, hat perfekt zur Landschaft in unserer alten Heimat gepasst – und irgendwie auch zu den ambivalenten Gefühlen, die uns begleiten, wenn wir hierher zurückkehren. Etwa in der Mitte zwischen Hamburg und Berlin, in einem der am dünnsten besiedelten Landstriche Deutschlands, liegen die Orte unserer Kindheit: knorrige Kletterbäume, holprige Schulwege und der kleine Tante-Emma-Laden, wo wir unser erstes Taschengeld für Süßigkeiten auf den Kopf gehauen haben. Es ist eine Welt voller Erinnerungen, in der man gewiss Geborgenheit und Entschleunigung finden kann und die doch für Menschen wie uns, die vielleicht ein bisschen zu viel denken und ein bisschen zu viel spüren, kaum Platz bietet. Das Gefühl, hier fremd zu sein, wird wahrscheinlich immer bleiben, ebenso wie die Sehnsucht danach, diese Fremdheit zu überwinden.

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Thomas, es gibt da etwas, das du deiner Familie noch beichten musst…

Das stimmt. Mama, Papa, ihr wisst ja, dass Musik mein größtes Hobby ist. Wenn ihr diese Zeilen lest, bin ich schon seit über einem Jahr Mitinhaber eines Platten-Labels. Es heißt My favourite Chords und ist inzwischen eine der ersten Adressen für Bands, die deutschsprachige, melancholische, kryptische Musik machen. Die Platten, die bei uns entstehen, sind kleine Kunstwerke. Es steckt viel Herzblut darin und ich bin stolz darauf.

Warum hast du hier zu Hause noch nichts davon erzählt?

Du musst dir vorstellen, dass das für meine Eltern ungefähr so ist, als wenn ich sage: Ich trage jetzt Gedichte vor und ziehe damit durch Deutschland, mit meinem Köfferchen, durch zwielichtige Clubs. Das ist einfach etwas, das nicht greifbar ist, wenn man es nicht kennt. Ich wünsche mir aber sehr, meinen Eltern näher zu bringen, was ich hier mache und wo ich mich aufhalte. Und dass die Musiker, mit denen ich mich umgebe, keine kaputten Typen sind, die ihr Leben nicht auf die Kette kriegen, sondern Menschen, die mit dem, was sie tun, sehr glücklich sind.

Und was macht dich glücklich?

Vor Kurzem war ich in Göttingen bei einem Konzert einer der Bands von unserem Label. An einer Treppe sprach mich ein Mädchen an und bat mich, ihren Hund hinunter zu tragen, weil er noch nicht laufen konnte. Vorher sind fünf Minuten lang die Leute an ihr vorbeigerannt und natürlich habe ich das gemacht. Es geht doch einfach darum: Wenn ich mit meinen Fähigkeiten etwas zustande bringe, das andere erfreut, dann macht mich das auch glücklich. Wenn ich Menschen sehe, die ein halbes Jahr an einer Platte arbeiten, die Texte und Melodien schreiben, sich ein Konzept ausdenken, wie das Ganze aussehen soll – dann ist es für mich selbstverständlich, wenn ich das verstehe und die Möglichkeiten habe, diese Platte rauszubringen. Ich kann selbst nicht singen und kein Instrument spielen, aber was ich kann, ist, diese Platte ins Presswerk geben, alle Formalitäten mit der GEMA klären, sie in den Vertrieb schicken und auf Blogs oder im Radio die Werbetrommel dafür rühren. Das ist für mich ein Weg, diesen Menschen, deren Musik mich bewegt, etwas zurückzugeben.

Für viele Leute hier auf dem Land ist das eine andere Welt.  Was meinst du: Was ist das, was die, die gehen, von denen, die bleiben, unterscheidet?

Vielleicht könnte man sagen, das hat mit sowas, wie der individuellen Euphorie-Schwelle zu tun.  Für mich war dieser Abenteuergedanke, mit der Sehnsucht nach Kicks und Adrenalin immer sehr präsent. Ich glaube aber, dass die Euphorie-Schwelle bei den meisten viel niedriger ist. Die freuen sich schon, wenn sie zwei Hasen am Straßenrand entlang hoppeln sehen oder eine Schwanenfamilie im Naturschutzgebiet, oder wenn sie beim Weihnachtstanz mit einem Mädchen knutschen, das sie toll finden und davon noch zwei Jahre lang erzählen können. Das ist mir einfach zu wenig.

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Das kann ich gut verstehen. Trotzdem bist du selbst auch ein Mensch mit Sinn für die kleinen, schönen Dinge im Leben.

Ja, total! Vor allem liebe ich es, daran teilzuhaben, wenn andere Menschen durch ganz einfache oder zufällige Begebenheiten glücklich sind. Im letzten Sommer habe ich in Barcelona in einem Park ein Akustik-Konzert von einer unbekannten schottischen Band gehört. Ich glaube, das war der emotionalste Moment in diesem Jahr. Der Gesang war überall in der warmen Luft. Neben mir standen Schotten, die extra deshalb angereist waren und geweint haben vor Freude und vor Glück. Nach so etwas suche ich. Dafür bin ich von Stadt zu Stadt gereist – um diesen Moment zu finden.

Deinen Eltern bereitet das, was du dabei auf dich nimmst, Sorge.

Ja, für mich ist diese Anstrengung positiv. Aber meine Familie denkt, ich mache mich kaputt dabei. Ich glaube, das ist ein wenig wie in der Liebe. Es ist anstrengend und manchmal schmerzhaft, sich zu verlieben. Und es ist gleichzeitig ein wahnsinnig schönes Gefühl.

Schöne Bilder und Texte – bei Anne gibt’s beides aus einer Hand. Als freie Redakteurin und Fotografin ist es ihr Job, spannende Themen aufzuspüren und gekonnt in Szene zu setzen. Das größte Projekt von allen wartet indes ungeduldig zuhause auf sie. Seit 2019 ist Anne stolze Mami eines kleinen, süßen Jungen – und das hat ihr Leben ordentlich durcheinander gewirbelt. Auf LAYERS berichtet sie von den Höhen und Tiefen ihres neuen Alltags.

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