Autorin Pia fragt sich, ob man dieses Erwachsensein nicht noch ein bisschen optimieren kann
Hi, ich bin Pia. Anfang 30, mit einem Bachelor in Journalistik und acht Jahren Berufserfahrung in der Tasche. Ich bin seit sechs Jahren selbstständig als Autorin und Texterin, habe zwei Bücher über meine große Leidenschaft, dem Reisen mit meiner kleinen Familie, veröffentlicht und bin ziemlich glücklich damit, wie mein Leben so läuft. Und: Ich studiere jetzt nochmal im Bachelor. Na, was denkst du? „Warum?“, „Das könnte ich nicht“ oder vielleicht „Darauf hätte ich jetzt keine Lust mehr“?
Studieren in der Erwachsenen-Edition
Der Großteil meines Umfelds reagiert genauso. Meist überrascht oder mit Unverständnis (oder beidem), wenn ich erzähle, dass ich mit 31, fast ein Jahrzehnt nach meinem ersten Studium, nochmal immatrikuliert bin und nun Kultur- und Medienpädagogik studiere. Ja zugegeben, ich studiere nicht in Vollzeit, sondern neben meiner Lohnarbeit (und Care Arbeit). Denn – Überraschung – ich brauche zum Leben irgendwie mittlerweile mehr Geld als mit 20. Ich lerne auch nicht in einer Uni auf einer Schulbank mit KommilitonInnen und Studi-Parties, sondern ganz flexibel und in meinem Tempo an einer Fern-Uni, der Internationalen Hochschule, von Zuhause aus. Meistens abends, Studieren in der Erwachsenen-Edition quasi. Das Studentinnenleben wie ich es einmal hatte, passt nun nicht mehr zu meinen Bedürfnissen, meiner familiären Situation, meinem Job.
Wie lange steht man „mitten im Leben“?
Eine Bekannte von mir sagt zu diesen Neuigkeiten: “Pia, du stehst doch mitten im Leben, wieso fängst du da nochmal von vorne an?“ Auf meine Gegenfrage, was dieses „mitten im Leben stehen“ eigentlich sei, erklärt sie, in meinem Fall heiße dies: „Erwachsen, erfolgreich, Mutter und verheiratet“ zu sein.
Ich frage sie, ob „mitten im Leben zu stehen“ also an ein Alter, einen Abschluss oder Beziehungsstatus geknüpft ist. Wie lange steht man eigentlich „mitten im Leben“?
Bis zur Rente? Das war wohl eine Portion zu viel, meine Bekannte ist verunsichert, außerdem werden wir in diesem Moment von unseren Kindern in die Spielplatz-Realität zurückgeholt.
Erwachsensein wird irgendwann
Während ich meinem Sohn auf der Schaukel einen Anschubs nach dem anderen gebe, denke ich darüber nach, was meine Bekannte mit „von vorne anfangen“ gemeint hat. Wird sobald man als Ü-30-Jährige ein Zweitstudium startet, die innere Festplatte automatisch gelöscht? Kommt irgendjemand vom Amt für Neuanfänge und resetet meinen Lebenslauf? Ja zugegeben, das ist jetzt etwas auf die Goldwaage gelegt. Beim Verabschieden wage ich trotzdem nochmal einen Erklärungsversuch:
„Übrigens, das mit dem Studium… Ich will gerne so richtig etwas dazu lernen. Neuen Wind in meine Arbeit bringen, eine neue Perspektive auf meinen Beruf bekommen.“
Verunsichert, weil sie nichts dazu sagt, frage ich unsicher lachend: „Erwachsensein wird doch sonst echt auch irgendwann langweilig, oder?“
Fast 9.000 Tage Arbeit im Leben
In Zahlen erklärt, klingt mein lahmer Erklärungsversuch übrigens so: Durchschnittliche Festangestellte in Vollzeit arbeiten pro Jahr ungefähr 250 Tage. Das sind circa 8.750 Tage im Leben. Ein Leben hat meistens um die 29.000 Tage. Das klingt erstmal nach viel Zeit, die wir nicht mit Arbeiten verbringen. Immerhin rund 20.000 Tage. Doch wenn man bedenkt, dass wir rund ein Drittel unserer Lebenszeit mit schlafen verbringen, bleibt noch… na ja für mein Verständnis auf jeden Fall nicht genug Leben übrig. In dieser Freizeit sind schließlich auch noch alle herrlichen Dinge wie Haushalt, Arztbesuche, Quarantäne, Wohnungssuche, Steuererklärungen und, und, und inklusive. Ich bin ehrlich: Das ist mir zu wenig!
Neu anfangen oder den Kurs wechseln?
Und da noch weniger zu schlafen wirklich nicht drin ist, möchte ich den Teil meines Lebens noch mehr optimieren, der mir alles, was sonst noch glücklich macht, finanziert. Denn im Optimalfall sollte doch das ganze Leben zu einem entscheidenden Großteil richtig Bock machen, finde ich. Nicht nur ein Drittel. Wie das aussehen kann, ist sicher super individuell. Für mich gehört Abwechslung dazu. Der Schritt in die Selbstständigkeit ist damals übrigens aus dem gleichen Grund passiert.
Und auch, wenn ich nicht in absehbarer Zeit meine Branche verlassen und nicht aufhören werde, zu schreiben, möchte ich mehr.
Mehr Wissen, mehr ausprobieren, mehr kennenlernen – aufbauend auf all’ meinen Erfahrungen und meinem Know-how. Nicht „neu anfangen“, sondern den Kurs wechseln. Denn 8.750 Tage im Leben Arbeit – wäre es nicht verschwenderisch, diese nicht auszunutzen, um sich immer mal wieder neu zu erfinden?
Am Leben sein, statt im Leben zu stehen
Und auch, wenn das jetzt ein schönes Ende der Kolumne wäre, möchte ich noch sagen:
Ja, es ist manchmal unbequem und wer weiß wie oft ich schon geflucht habe, weil Lohnarbeit, Care Arbeit, Mental Load und Teilzeitstudium-Overload so richtig gekickt haben.
Und herrje meine Gehirnzellen sind sowas von gefordert! Sind die echt so viel langsamer als noch vor einem Jahrzehnt?! Das Vorlesungs-Manuskript durchzuarbeiten ist im Alltagsstruggle immer das erste, was hinten runterfällt. Und sowohl die 200 Euro Studiengebühren im Monat als auch die Lernzeit könnte ich sicher bequemer verwenden. Doch bequem will ich es eigentlich gar nicht. Was ich schon nach einem Semester gelernt, welche Perspektiven ich kennengelernt habe, hat sich jetzt schon gelohnt.
Ich liebe es, im Wandel, im Fluss zu sein, meinem Bauchgefühl zu folgen, dazuzulernen.
So fühle ich mich am Leben – oder ist das vielleicht MEIN „mitten im Leben stehen“? Erwachsensein kann genau das sein, was uns glücklich macht und nicht, was vermeintlich dazu gehört, denke ich. Wäre sonst ja auch echt langweilig, oder?