Willkommen im Matriarchat
Als ich im Jahr 2021 das erste Mal Vater wurde, hatte ich zwei Annahmen, die sich kurz darauf als Blödsinn herausstellten. Erstens: Es ist normal, dass Männer der Generation Y bereits vollintegrierte Papas sind. Zweitens: Dass mich alle mit offenen Armen begrüßen würden, in dieser Welt der Eltern. Also ähm okay, sagen wir es gleich: Der Welt der Frauen.
Dabei schien es so, als seien die letzten Jahre gezeichnet von einem Bild, das eine tiefumgreifende Veränderung in der Elternwelt suggerierte. Die Väter aus dem Berliner Prenzlauer Berg oder Kopenhagen machten sich zunehmend in der Öffentlichkeit jeder größeren Stadt breit mit ihren Babytüchern und Lastenrädern. Zahllose Podcasts arbeiteten sich an jedem erdenklichen Papa-Thema ausladend ab und dann das: dem SPIEGEL, Ausgabe August 2021 wurde gleich ein ganzes Cover geschenkt über das angebliche „Leiden der Väter“. Keine nimmt die bemühten neuen Väter ernst, hieß es da, von „Eltern zweiter Klasse“ war sogar die Rede.
Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits in angespannter Erwartungshaltung vor der Geburt meiner kleinen Tochter. Und plötzlich kam da die Unsicherheit in mir auf. Was, wenn ich einmal nicht ernst genommen werden würde? (Für alle Nicht-Männer: Es gibt nichts Schlimmeres für uns.)
„Ach wickeln wollen se?“, antwortet die Krankenschwester, als ich mich kurz nach der Geburt im Krankenhaus mit stolzer Brust vor ihr aufbaue und mein Vorhaben bekunde. „Na dann, machen Se mal.“ Nur wenige fahrige Griffe mit meinen schwitzigen Händen später fährt sie mich an „Nee. So machen wir das hier schon lange nicht mehr, lassen se mich ma!“
„Nee. So machen wir das hier schon lange nicht mehr, lassen se mich ma!“
Ich fand mich wieder in einer Welt der Frauen, in der ich als Mann scheinbar (aber auch ziemlich wirklich) nichts zu sagen hatte. Plötzlich wurde mir klar, wie meine Partnerin sich im Baumarkt fühlen muss, wenn sie nach dem Ort für die goldenen Kloschüsseln fragt und sich der etwas untersetzte Verkäufer dann wegdreht und an mich wendet: „Gang 22, ganz, ganz unten.“
Die Männer im erwähnten Artikel des SPIEGEL finden sich in ähnlichen Situationen wie ich bei meinem ersten Wickelversuch wieder. Väter werden von ihren Frauen „benotet und bevormundet“ und sollten daher „einfach loslassen“, schreiben die Autoren dort. Doch kann das wirklich sein? Stehen Väter wirklich überall bereit und müssen nur rangelassen werden? Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: 93% der Männer arbeiten nach der Geburt weiter voll, während das nur 27% der Frauen tun. Auch das Elterngeld beziehen Männer im Schnitt nur vier Monate lang, Frauen nehmen durchschnittlich 15 Monate in Anspruch, sind also ziemlich exklusiv für das Neugeborene da. (Quelle: Umfrage Allensbach, März 2019) Auch während der Pandemie zwischen 2020 und (bisher) 2022 sollen in Deutschland „alte Rollenmuster“ wieder verstärkt zurückgekehrt sein in den Haushalten. (Quelle, u.a. taz 26.08.21)
Meine falsche Annahme also, dass die Welt bereits eine andere sei, war nicht nur naiv, sie war möglicherweise auch ein Zeichen unserer Zeit. Ich nenne sie mal die spätkapitalistische Selbstlüge, auch wenn das möglicherweise auch schon wieder so ein absoluter Bullshit ist. Aber im Ernst: Es ist wie die Sache mit dem Fleischessen. Alle behaupten, „kaum noch Fleisch zu essen“ – trotzdem werden die Regale im Supermarkt und die Ängste um deren Verkaufspreise nicht kleiner. Das Gleiche gilt fürs Fliegen, von dem angeblich auch keiner mehr was wissen will und trotzdem mehr geflogen wird als jemals zuvor. Wir sind mit den Erwartungen an uns selbst vorne dran, aber die Lücke zur Wirklichkeit hinterlässt eine hässliche Narbe, die wir vielleicht erst sehen, wenn es ernst wird.
„Ergebe ich mich beleidigt und verabschiede mich an dieser Stelle? Sollen Sie doch alleine machen!“
Wie auch immer, ich fand mich also wieder in diesem Krankenhaus voller Frauen um mich herum, die alle Ahnung hatten, und ich nicht, und ich mich nun entscheiden musste, was ich tue. Ergebe ich mich beleidigt und verabschiede mich an dieser Stelle? Sollen Sie doch alleine machen!
Ich erinnere mich an all die Frauen, die mir aus ihren Jobs erzählten, in denen sie nicht ernst genommen werden von einigen ihrer männlichen Kollegen. Immer wieder berichteten sie mir von diesem einen Trick: Dem „Etwas-Mehr“. Wäre es möglich, dass ich diese Erfahrungen auf meine Realität übertragen und mein gekränktes Ego überwinden könnte, indem ich mich etwas mehr anstrenge? Mit anderen Worten: Wenn ich versuche, mehr zu leisten, als meine Partnerin?
Das versuche ich nun seit einigen Monaten bereits und bin dabei immer wieder auf die Schnauze gefallen. Gar nicht so einfach, ohne jegliche Vorbildung, ohne jegliches Können, tatsächlich zum besseren Elternteil zu werden. Mir wurde klar, warum die Schwestern im Krankenhaus mich nicht ernst nahmen: Sowas wie mich haben sie schon oft gesehen. Am Ende hält er es doch nicht durch, dachten sie. Und es ist ja auch wahr, wenn wir die Zahlen der Beanspruchung des Elterngeldes ansehen oder in der Pandemie plötzlich zuhause am Herd das Revival der 50er Jahre miterleben.
„Besser werden wollte ich und musste einsehen, wie unterlegen ich bin, wie viel ich erst einmal aufholen muss.“
Aber ich stand wieder auf, nachdem ich gefallen war. Manchmal gab mir meine Partnerin dabei die Hand, einige Male musste ich es selbst tun. Besser werden wollte ich und musste einsehen, wie unterlegen ich bin, wie viel ich erst einmal aufholen muss. Mit Ernüchterung musste ich den einen Tag einsehen, wie ich mich überschätzte und den anderen mit Tränen in den Augen feststellen: In einigen Augenblicken kann es, ja dann kann es funktionieren mit dem Papasein auf Augenhöhe.
Denn auch wenn ich damit weder der Erste noch auch nur ansatzweise der Beste bin, lohnt es sich, diesen Weg zu gehen. Das Ergebnis ist nicht nur das süße Lächeln meiner kleinen Tochter (in real life), sondern auch die dankbaren Augen meiner Partnerin.
In dieser kleinen Serie untersuche ich dafür einige meiner Erkenntnisse und spreche mit Vätern (die es viel mehr draufhaben als ich) und Müttern darüber, wie sie es machen. Das Ziel: dass ich selbst ein bisschen besser werde und andere Papas in einer ähnlichen Situation wie ich etwas mitnehmen können.