Achtung: Wir empfehlen einen Stressball zur Hand zu nehmen. Oder Beruhigungstee.
„Also Papas nehmen heute ja auch schon richtig viel Elternzeit“, „Beschwer’ dich nicht, du wolltest doch ein Kind“, „Oh, heute ohne Kind unterwegs? Wo ist es denn? Beim Papa? Ach, das ist ja toll“.
Autorin Pia schreibt darüber, warum diese Sätze Bullshit sind und zeigt nackte Zahlen darüber, wie es um arbeitende Mamas in Deutschland steht.
Als mich LAYERS-Chefredakteurin Francis fragte, ob ich in der aktuellen Kolumne über die Auswirkungen des Mutterwerdens auf den Beruf schreiben mag, dachte ich, klar easy, ich schreibe ein bisschen was über Vereinbarkeit mit Familie und Job, über Gleichberechtigung in der Elternschaft und die Flexibilität meiner Selbstständigkeit. Ganz klare Sache. Dachte ich.
Dann las ich auf Instagram den Post einer Zweifach-Mama in einer Hetero-Beziehung, der mich stutzig machte. In ihrem Beitrag stellte sie fest, dass Mütter mittlerweile viel zu negativ übers Mama sein reden, darüber wie viel (Care-)Arbeit das ist und wie wenig gleichberechtigt Elternschaft immer noch abläuft. Mütter beschweren sich nur noch, wie anstrengend die Vereinbarkeit und Selbstverwirklichung mit Familie ist, sagte sie. Mama sein habe doch so viel Mehrwert. Es müsse auch mal wieder mehr gesagt werden (dürfen), wie erfüllend Mutterschaft ist und weniger gemeckert werden.
Mama; diskriminiert erfüllt?
Versteht mich nicht falsch, was die Instagrammerin schreibt, ist alles richtig, absolut! Und das ist vielleicht der springende Punkt. Das Mama sein DARF erfüllend sein, es ist doch sogar großartig, wenn es erfüllend ist. Doch – und das finde ich ganz wichtig – trotzdem oder gerade deswegen müssen wir laut sein, auf Missstände aufmerksam machen, damit sich etwas verändert. Für uns, unsere Kinder, unsere Enkelkinder. Denn, mal ehrlich, wenn Dinge, die uns erfüllen und die wir lieben, alle selbstverständlich wären, unbezahlt, diskriminierend UND wir sie nicht nur unkommentiert hinnehmen würden, sondern allen erzählen würden wie happy und erfüllt wir dabei sind – wie sehe unsere Welt aus?
Wären wir alle super happy, aber obdachlos und hungrig?
Und denjenigen, die sich doch trauen, den Finger zu heben, hört niemand zu? Denn wenn alle anderen happy sind so wie es ist, wie können es diese wenigen anderen nicht sein? Stellt euch mal einen Fußballer vor, der leidenschaftlich Fußball in einer angesehenen Liga spielt und plötzlich nicht nur kein Geld mehr verdient, sondern auch noch diskriminiert wird! Ich denke, ihr wisst, worauf ich hinaus will.
Hurra wir sind schwanger – es wird eine strukturelle Benachteiligung
Denn – und nun kommt der Bogen zu dem eigentlich Thema – eine berufstätige Frau, die Mama wird, entscheidet sich nicht nur fürs Mamasein, erfüllend hin oder her. Sie entscheidet sich für strukturelle Benachteiligung. Das ist kein Gefühl, das sind Fakten.
Habt ihr zum Beispiel schon mal was vom Penalty-Effekt gehört?
Dieser zeigt auf, dass Frauen in Deutschland zehn Jahre nach der Geburt ihres Kindes immer noch durchschnittlich 60 Prozent weniger verdienen als vor der Geburt.
In einer Studie der Bertelsmann-Stiftung stellte sich heraus, dass Mamas über ihr gesamtes Erwerbsleben im Schnitt 43 Prozent weniger verdienen als Frauen ohne Kind. 43 Prozent. Und die Papas? Überraschung, laut der Studie können die über das gesamte Erwerbsleben sogar durchschnittlich bis zu 20 Prozent mehr als kinderlose Männer erarbeiten.
Danke für nichts, Patriarchat
Doch wo liegt die Ursache für dieses Problem, oder soll ich eher sagen Desaster? Darauf hat SPIEGEL-Bestseller-Autorin Alexandra Zykunov eine Antwort, die wohl wenig überrascht: das Patriarchat. Worin sich das zeigt? Puh, wo fange ich da an. Ein Beispiel:
Frauen bekamen im Jahr 2022 immer noch generell 18 Prozent weniger Lohn als Männer, also Mutter hin oder her.
Das ist sicher ein Grund dafür – neben über Generationen weiter gegebenen Verhaltensmustern, Familienbildern, Geschlechterrollen usw. – dass ein Großteil der Mütter in Elternzeit geht, wenn ein Baby geboren wird. Jetzt sagen sicher die ersten unter euch, na ja, aber es gehen doch jetzt so viele Papas in Elternzeit, mein Mann war auch zwei Monate Zuhause… Ja, richtig. Das zeigen sogar die Zahlen, die Alexandra Zykunov für uns in ihrem Buch zusammengefasst hat: Vier von zehn frisch gebackenen Vätern gehen in Elternzeit. ABER gerade mal 7,6 Prozent davon kommen über die oft obligatorischen paar Monate hinaus und nehmen zehn Monate oder mehr. Bei Frauen sind es 95,4 Prozent.
Altersarmut voraus!
Durch die Zeit im Mutterschutz fehlen wichtige Zahlungen in die Rentenkasse. Und die Spirale geht wieder. Nach Ende der Elternzeit arbeiten vor allem Mamas oft in Teilzeit. Klar, oft verdient ja Papa mehr. Statistisch gesehen arbeitet nur jede zehnte Mutter in Vollzeit. Jede Zehnte. Gründe sind häufig auch fehlende Kitaplätze, nicht genug Ganztagsschulen,… die lieben Strukturen.
Für viele Frauen ist das die unfreiwillige Bremse für die Karriere.
Wer eine Führungsposition haben möchte, muss in der Regel Vollzeit arbeiten – zumindest besetzen in Deutschland gerade mal 14 Prozent aller Frauen in der Führungsetage eine Teilzeit-Stelle. Mit Blick auf die Rente wird klar: Das hat Auswirkungen auf den Rest unseres Lebens. Laut einer Studie der Bertelsmanns Stiftung wird bis zum Jahr 2036 der Anteil der jeweils 67-jährigen alleinstehenden Frauen, deren Einkommen nicht fürs Leben reicht, stark steigen. Demnach waren im Untersuchungsjahr 2016 16,2 Prozent von staatlichen Leistungen abhängig, 2036 werden es der Prognose zufolge bereits 27,8 Prozent sein
110,6 Prozent mehr Care-Arbeit. Jeden Tag.
Puh, ganz schön harter Tobak. Doch was können wir tun, um das zu ändern? Step by step. Wer in einer heterosexuellen Beziehung lebt, kann sich beispielsweise mal mit dem Partner hinsetzen mit und den eigenen Alltag genau unter die Lupe nehmen. Wo leben wir veraltete Verhaltensmuster, wollen und wie können wir diese aufbrechen? Wie sind wir finanziell aufgestellt? Welche Aufgaben stehen an? Wer macht was aktuell und wie können wir uns neu verteilen? Stichwort Care-Arbeit. Soziologin Jutta Allmendinger spricht in ihrem Buch übrigens von einem Care-Arbeits-Gap. In Zahlen sagt dieser: Bei einem heterosexuellen deutschen Durschnitts-Paar, 34 Jahre alt mit Kindern, Care-arbeitet ein Mann pro Tag 2 Stunden 31 Minuten, eine Frau hingegen 5 Stunden und 18 Minuten. Das ergibt einen Care-Arbeits-Gap von 110,6 Prozent. An jedem Tag!
Elternsein, so sagt es Alexandra Zykunov, ist so viel mehr als noch in der Generation unserer Eltern und Großeltern, so viel vielschichtiger, viel komplexer und zeitintensiver.
Und klar, es hat sich schon etwas getan – siehe die obligatorischen zwei Monate Papa-Elternzeit – doch, wie sagt es die Autorin so schön: „Wollt ihr euch abfeiern dafür, dass ihr besser seid als eure Väter vor 40 Jahren, als das Land noch geteilt war, Vergewaltigungen in der Ehe keine Straftaten waren, Frauen per Gesetz zur Hausarbeit verpflichtet wurden und nur dann Erwerbsarbeiten durften, wenn sich das mit Ehe und Haushalt vereinbaren ließ…?“ Bitte nicht.
Care-Arbeit als das ansehen, was sie ist: Arbeit
Die Autorin des gefeierten Buches „Wir sind doch längst gleichberechtigt“ sagt, wir feiern ein vermeintliches Zwischenergebnis und verlieren das Ziel aus den Augen: Gleichberechtigung. Und: Care-Arbeit als das anzusehen, was sie ist: Arbeit. „Eine Entlohnung der Care-Arbeit würde die Liebe, die Selbstaufgabe von Müttern wertschätzen, sie würde die Arbeit dahinter endlich sichtbar machen und ganz nebenbei Millionen von Frauen aus der drohenden Altersarmut holen“, schlägt die 38-Jährige vor. Wer sich jetzt denkt, na dann bekomme ich lieber keine Kinder: Das hilft ja nun auch nicht. Das System braucht Kinder. Ohne Kinder funktioniert an irgendeinem Punkt der geliebte (Achtung, Ironie!) Kapitalismus nicht mehr. Sie zahlen den Boomern die Rente, sind unsere Führungs- und Wirtschaftskräfte von morgen. Wir brauchen auch die Mamas. Wenn sie ihre Arbeitskraft nicht einsetzen können, fehlen sie auf dem Arbeitsmarkt und die Wirtschaft wird geschwächt. Kurz: Wir müssen die Care-Ökonomie in Deutschland neu denken.
Wir brauchen Vorbilder
Um wirklich etwas zu verändern, brauchen wir Vorbilder. Damit es ein neues „normal“ gibt, in dem Gleichberechtigung wahrhaftig gelebt wird. Vorbilder unter Mamas, Papas, in Chef:innen-Etagen, Büchern, Filmen, der Werbung, überall.
Wir müssen Rollenbilder Stück für Stück auflösen und aufhören, Papas zu feiern, die auf dem Spielplatz abhängen oder, die die Kinder für das Wochenende nehmen, damit Mama sich eine Auszeit gönnen kann.
Wir müssen aufhören, zu Müttern zu sagen: „Aber du hast es dir doch so ausgesucht“ oder sie zu fragen, wo ihr Kind ist, wenn wir sie ohne es treffen (und Väter nicht). Wir müssen etwas ändern, für uns, unsere Kinder und Enkelkinder. Damit sie sich für ein Kind entscheiden können, ohne mit der Geburt dessen gesellschaftlich in die 60er Jahre zurück katapultiert zu werden.