Bin ich zu dick?

„Isst du gern oder bist du schwanger?“

Mit diesen Worten wurde ich kürzlich von einem Bekannten bei einem Business-Event begrüßt. Nicht nur ich, sondern auch meine Freundinnen waren entsetzt über diese fiese Bemerkung zu meinem Körper. „Anne, eigentlich musst du darüber mal einen Artikel schreiben.“

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Fotos: Michelle Ziegelmann

Das finde ich auch. Aber nicht, weil die Worte meines Bekannten so outstanding waren. Nein, sie sind nur ein kleiner Teil einer langen Reihe abwertender, beschämender und verletzender Kommentare, die ich im Laufe meines Lebens – wie viele von euch sicher auch – zu meiner Figur erhalten habe. Und ich weiß, dass solche Sätze nicht nur weh tun, sondern richtig krank machen können.

Annes Kolumne kannst du dir auch von ihr vorlesen lassen.

Mal kurz die Hard Facts: Ich bin eine ganz normale Frau mit einem gesunden Körper. Mein Body-Mass-Index liegt bei 21 – das ist etwa der mittlere Bereich des Normalgewichts. Ich habe ein Kind bekommen. Das hat natürlich Spuren hinterlassen. Aber ich mache auch regelmäßig Sport und ernähre mich vielfältig. Und ich finde, dafür dass ich Ende 30 bin, habe ich mich eigentlich ganz gut gehalten. Seit über 20 Jahren trage ich Größe XS bis S.

Im Grunde ist das aber auch komplett egal. Denn die gleiche Art von Bemerkungen habe ich schon gehört, als ich 14 war und gemessen an meiner Körpergröße sogar Untergewicht hatte. Und selbst als kleines Kind.

Ich erinnere mich noch gut, wie sich im Vorschulalter eine Person aus meiner Familie über meine Bauchfalten lustig machte.

Jedes Mal, wenn ich in die Badewanne sollte, habe ich mich dafür geschämt, weil ich den Kommentar damals einfach nicht richtig einordnen konnte. Später als Teenie hieß es, ich solle lieber keine engen T-Shirts tragen – „Da guckt der Bauch so raus“. Auch meine Beine waren trotz Untergewicht zu kräftig. „Dicke Stampfer“ bekam ich zu hören. Und klar, dass die Jungs im Freibad über meinen Körper lachten, genau wie über den vieler anderer Mädchen. Wir Mädels waren nicht weniger gemein. Es ist nicht leicht, ein Teenager zu sein.

Ich hatte mehr Glück als Verstand, dass mein innerer Kompass mir damals sagte, dass da irgendetwas wahnsinnig schiefläuft. Als in den 90er Jahren, der Zeit des „Heroin Chic“, nicht wenige meiner Schulkameradinnen unter Essstörungen litten, blieb ich gesund.

Dennoch wissen die meisten von uns, dass solche Kommentare nie spurlos an einem vorbeigehen. „Verdammt, wie schaffe ich es jetzt, nicht mehr daran zu denken und mir den schönen Tag nicht von dieser dummen Bemerkung kaputt machen zu lassen?“, dachte ich neulich bei dem Business-Event.

Vielleicht kennt ihr das Gefühl, dass solche Sätze euch triggern. Die frischen Verletzungen reißen alte Wunden auf.

Negative Gedanken, die wir sonst vielleicht ganz gut verdrängen, kommen hoch und nehmen plötzlich Raum ein, den wir ihnen eigentlich gar nicht zugestehen wollen.

Insbesondere in den letzten Jahren nachdem ich Mama geworden bin und in einer komplizierten Beziehung steckte, hatte ich sehr damit zu kämpfen, meinen Körper richtig lieb zu haben. Während der Schwangerschaft nahm ich über 20 Kilo zu. Ein paar davon bin ich nicht wieder losgeworden.

Der Papa meines Kindes wünschte sich sehr, dass ich nach der Geburt zügig wieder abnehme und sportlicher werde.

Schon während der Stillzeit hat mich das wahnsinnig unter Druck gesetzt und war letztendlich auch einer der Gründe – sicher nicht der Wichtigste – warum ich mich irgendwann getrennt habe.  

Dass ich als normalgewichtige, zierliche Frau in den Augen mancher „zu dick“ oder einfach „nicht genug“ bin, wurde mir auch von anderen Männern immer mal wieder unter die Nase gerieben. „Anne, dein Gesicht ist so hübsch. Warum tust du nicht mehr für deinen Körper?“ Tja, vielleicht weil Perfektion viel Zeit und Energie braucht. Und weil mir als vollzeitarbeitende, alleinerziehende Mami andere Sachen wichtiger sind, als meinen Körper maximal zu optimieren. Zum Beispiel, mich um mein Kind zu kümmern. Mal ein Buch zu lesen. Oder überhaupt klarzukommen. 

Jetzt sagen sich einige von euch vielleicht: Ja, warum sucht sie sich denn auch so bescheuerte, oberflächliche Typen aus?

Das Problem ist: Solche Kommentare bekommt man meistens nicht zu Beginn einer Beziehung. Sondern mitten drin. Wenn man der Person vertraut und sich eigentlich sicher fühlt. Und das tut dann besonders weh.

Die meisten fiesen Bemerkungen zu meinem Körper erhalte ich allerdings nicht von jungen Männern, sondern von ebenso zuckersüßen wie gnadenlosen älteren Ladies in meinem Heimatdorf. War das früher unter Frauen vielleicht einfach normal?

Bei jedem Besuch werden gewonnene oder verlorene Kilos genüsslich analysiert und kommentiert.

Dass das für mich nicht so toll ist – egal! „Wenn du mal eine ehrliche Meinung suchst, hier findest du sie“, grinst meine Mama, die sich daran zum Glück nicht beteiligt. Ich soll das Ganze nicht so ernst nehmen, findet sie. Mir fällt das schwer. Erst kürzlich wurde mir gesagt, dass es eigentlich gar nicht sein kann, dass ich so wenig wiege – denn ich sehe definitiv dicker aus. Ich war sprachlos.

Wir haben Jahre, wenn nicht Jahrzehnte an öffentlichen Debatten über Essstörungen, unrealistische medial vermittelte Körperbilder, Body Shaming und Selbstliebe hinter uns. Und ich frage mich: Was kann ich jetzt eigentlich für mich erwarten?

Muss ich hinnehmen, dass mein Körper immer noch bewertet wird, wie ein seelenloser Gegenstand? Ist es normal, dass Leuten wichtiger ist, wie ich aussehe, als wie ich mich fühle?

Oder habe ich irgendwie eine völlig verschobene Selbstwahrnehmung? Kriege ich irgendwas nicht mit?

Nein, natürlich nicht. Und ich glaube, in gewisser Weise haben wir schon eine Wahl, wie wir damit umgehen. Ich empfehle an dieser Stelle eine ordentliche Portion Trotz. Die zwölfjährige Anne hat sich einfach weiter ihr hellblaues Lieblings-T-Shirt angezogen – auch wenn da „der Bauch rausguckt“. Die 14-jährige Anne ließ sich von den doofen Jungs nicht aus dem Freibad vertreiben. Und die letzten 20 Jahre an Body Shaming-Attacken habe ich auch überstanden, ohne mich für die Ansprüche von random Typen runterzuhungern.

Und genau das solltet ihr auch nicht!

Egal, wie ihr ausseht, es wird immer jemanden geben, der meint, euch bewerten zu müssen. Es wird immer jemand geben, der euch sagt, ihr seid nicht genug.

Body Shaming passiert uns allen, unabhängig vom Gewicht. Hört auf euer Bauchgefühl und lasst euch nichts einreden von Menschen, denen egal ist, ob sie euch wehtun. Im Grunde sind solche Aussagen doch nur Ausdruck veralteter Denkweisen. Von Egoismus. Und von Sexismus. Denn auch das ist ein wichtiger Punkt: Solange wir mit unserem Aussehen und Diäten beschäftigt sind, machen wir niemandem Schwierigkeiten.

Das Gute ist doch außerdem: Wenn wir uns nicht einigeln, sondern den Mut haben, uns zu zeigen, wird es immer auch jemand geben, der unsere ganz individuelle Schönheit erkennt. Manchmal braucht es dafür ein bisschen Geduld. Ich habe einen langen Text darübergeschrieben, welche fiesen Dinge mir Menschen zu meinem Körper gesagt haben. Ich könnte einen weitaus längeren Beitrag darüber verfassen, wie viel Liebe und Unterstützung ich in meinem Leben erfahren habe. Über die Komplimente von Männern und Frauen. Und all die verrückten Sachen, die passiert sind, weil mich irgendjemand toll fand, genauso wie ich bin.

In der Situation auf dem Business-Event habe ich nicht besonders schlagfertig reagiert, aber meinem Bekannten immerhin ruhig erklärt, dass ich eben schwanger war und es normal ist, dass der Körper sich verändert. „Davon weiß ich leider nichts“, antwortete er. Ja, das ist offensichtlich. Falls irgendein ebenfalls ahnungsloser Mensch diesen Artikel gerade bis hier hin gelesen haben sollte: Es gibt zahlreiche Gründe, warum der Bauch einer Frau rund aussehen kann. Vielleicht hat sie gerade ihre Tage. Oder das Essen nicht so gut vertragen. Oder beides. Oder irgendwas ganz anderes. Auch Gewichtsschwankungen sind normal. Oft haben sie sogar einen ziemlich ernsten Hintergrund.

Ihr habt keine Ahnung? Dann verkneift euch doch bitte einfach euren Kommentar.

Ja, ich esse gern. Und das ist gut so. Essen bedeutet Kraft und Lebensfreude und Gemeinschaft. Mein Körper ist nicht perfekt, aber das muss er auch nicht. Für mindestens eine Person auf der großen, weiten Welt könnte er trotzdem gar nicht schöner sein: Mein kleiner Sohn liebt meine weichen Rundungen. „Das ist dein Glücksspeck, Mami“, sagt er und kuschelt sich an meine Hüfte. Später holen wir uns ein Eis. Oder rennen über den Spielplatz. Worauf auch immer wir gerade Lust haben. Ich fühle mich geliebt. Und ich weiß, mein Körper trägt mich – uns beide – durch diesen nicht immer ganz einfachen Alltag. Allein das ist wichtig. Nichts weiter.

Schöne Bilder und Texte – bei Anne gibt’s beides aus einer Hand. Als freie Redakteurin und Fotografin ist es ihr Job, spannende Themen aufzuspüren und gekonnt in Szene zu setzen. Das größte Projekt von allen wartet indes ungeduldig zuhause auf sie. Seit 2019 ist Anne stolze Mami eines kleinen, süßen Jungen – und das hat ihr Leben ordentlich durcheinander gewirbelt. Auf LAYERS berichtet sie von den Höhen und Tiefen ihres neuen Alltags.

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