Believe the Hype – Frides Medien und Zeitgeist Kolumne
Anfang 2020 erschien auf Netflix die bis heute viel besprochene Dokumentation „The Social Dilemma“, welche die negativen Effekte von sozialen Netzwerken diskutiert.
Worum geht es?
Ex-MitarbeiterInnen sprechen über ihre Tätigkeiten bei Facebook, Google und Co. und wie sie „die Kehrseite der Medaille“ mit erschufen. Verschiedene unheilvolle Auswirkungen durch soziale Medien auf den Einzelnen wie auf Gesellschaft und Weltgeschehen werden abgehandelt. Eine fiktive Geschichte einer Familie und die Folgen für die Mitglieder durch ihren Social-Media-Konsum begleitet die Dokumentation.
Beim Medien- und Zuschauerecho verhält es sich dabei in etwa wie bei der Reportage „Rechts. Deutsch. Radikal.“ von Pro7, die auch vor Kurzem hohe Wellen schlug.
„Wie, Rechtsradikale haben ein menschenverachtendes Weltbild und die AfD ist eine antidemokratische Partei voller Nazis, die Ängste von Bürgern für sich instrumentalisiert? Schockierend!“
Oder, um auf die zu besprechende Doku zurückzukommen: „Soziale Medien machen süchtig und verzerren die Wahrnehmung, beeinflussen das Kaufverhalten und manipulieren uns? Echt, jetzt?!“
Wie entsetzt man darüber nach dem Anschauen von „The Social Dilemma“ sei, ließ sich dann auch vielfach auf Instagram, LinkedIn u.a. nachlesen. Finde den Fehler! Aber okay: Manchmal braucht es solche Filme, um sich dem eigentlich logisch Erschließenden noch einmal dem Gewahr zu werden.
So weit, so positiv. Dass dieser Film gerade auf Netflix läuft, fällt dann jedoch eher unter: Was darf Satire?
Ein Streaming Dienst zeigt also, wie Online-Medien Menschen manipulieren. Schauen wir uns ein paar Aspekte dazu an:
1. Filter
Inzwischen gibt es einen Begriff für den Drang auszusehen zu wollen wie ein Schönheitsfilter: „Snapchat Dysmorphie“.
Überhaupt wird von Essen bis Landschaft alles und jedes mit Presets, Filtern und Apps optisch „optimiert“. Und im Gegenzug jeder kleine Pickel von Social Media Usern kommentiert (wer mehr zu Kommentaren erfahren will … bitte lesen)
Und weil das so schlimm ist, muss „The Social Dilemma“ genau denselben Grau-Blau-Filter drüberlegen, den man in jeder zweiten Produktion von Amazon Prime, Netflix und Co. verwendet. (Der Andere ist dann „irgendwas mit Goldton“.) Von Action Movie bis Barbeque Master Show spielt sich der Streaming Konsum in den immer selben Farbtönen ab. Man will ja schließlich eine bestimmte Stimmung beim Zuschauer erzeugen!
2. Nutzungsdauer
Was man liket oder anschaut – alle Daten werden ausgewertet und verwendet, um dem User weitere passende Inhalte und Produkte zu zeigen. Ebenso wichtig: Solange wie möglich auf der Plattform bleiben! Den Nutzer abhängig machen, damit dieser das Netzwerk immer wieder und immer länger nutzt. Genau Netflix: Daher jede Folge einer Serie mit Cliffhanger. Sind dann alle Folgen „durchgesuchtet“ wird anhand des Algorithmus gleich die nächste inflationär erstellte Hype-Serie vorgeschlagen, die DIR gefallen könnte. Genauso wie soziale Netzwerke werten Streaming Dienste jeden Klick aus und erstellen sogar Drehbücher nach Data F, die von Algorithmen optimiert werden. Einen empfehlenswerten Artikel dazu findet ihr hier.
3. Zitate und Häppchen
EINFACHE, KLARE BOTSCHAFTEN! So simpel wie möglich aufbereitet und möglichst nicht länger als eine 15-Sekunden-Story auf Instagram. Das muss wie Apfelmus sein: Leicht verdaulich und schnell durchrutschend. Damit sich selbst das schlichteste Gemüt angesprochen fühlt gern Zitate einstreuen. Animierte Einspieler zur Erklärung sind auch schön. Hat sich „The Social Dilemma“, wie etliche andere Dokus auf Netflix u. Co., ebenfalls zu Herzen genommen. Person A erzählt drei Sätze. Schnitt. Person B erzählt zwei Sätze. Schnitt. Schnipsel von TV-News. Schnitt. Zitat GROSS eingeblendet. Schnitt. Nächstes Thema.
4. Emotional abholen
Jeder Marketingneuling und Start Upper bekommt eingetrichtert „Storytelling ist sooo wichtig. Ihr müsst den Konsumenten bei seinen Gefühlen packen!“ Also schnell die Gründergeschichte von Studienkollegen oder Powerfrauen erzählt, die abends in der Küche das neue Wunderkonzept für vegane Tampons oder Zahnbürstensharing Apps erfanden und beschlossen eine Firma zu gründen. Oder eine Geschichte erzählen, die den Zuschauer emotional „abholt“. Wie die Familie in „The Social Dilemma“, wo die jüngste Tochter Komplexe dank Hate-Kommentaren entwickelt und der Sohn durch Fake News politisch abdriftet. Inklusive dramatischem Ende natürlich. Und zur Veranschaulichung werden technische Sachverhalte von sozialen Medien nicht erklärt, sondern man zeigt sinistre Männlein in einer Schaltzentrale, die besagten Teenagerbub mit Videos und Profileinblendungen manipulieren. Weil bei Zuschauern anscheinend Debilität vorausgesetzt wird. Das versteht der doch sonst nicht. EINFACHE, KLARE BOTSCHAFTEN!
In der Dokumentation gibt es übrigens keine Lösung für das „Dilemma“. Nur die Feststellung, dass alles einem folgt: dem Kapitalismus.
Der Mensch soll konsumieren. So viel wie geht und egal was. Ob das nun Apple, Facebook oder Netflix ist: Sie alle streben nach mehr Umsatz, mehr Konsumenten, mehr Kundenbindung.
Liest sich bitter?
Dann vielleicht erst einmal eine Runde an die frische Luft und Handy und Bildschirm ausschalten.