Das Flugzeug ist für viele noch immer die erste Wahl, um günstig in den Urlaub zu kommen. Dabei gibt es gute Gründe, warum ihr eure nächste Reise mit dem Zug antreten solltet. Und die Moral kommt dabei erst ganz zum Schluss.
Wer heute die Zeitung aufschlägt, dem vergeht nicht selten der Appetit. Beileibe nicht nur am Essen, sondern auch an der Welt im Allgemeinen. Und das ist gleich mehrfach schade. Denn der Welt geht es gar nicht so schlecht, wie man manchmal meinen mag. Wer die Welt nicht kennt, geht eher davon aus, dass alles und alle darin schlecht sein. Also: Reisen müsst ihr! Aber das ist ja auch wieder Teil des Problems. CO2. Massentourismus. Fucking Covid.
Am Ende reist man nicht, sondern macht Urlaub und steigt wohl oder übel in den Flieger. Ist ja billig, ist ja schnell. Wie sonst, ohne Flugzeug, soll man denn noch Urlauben dürfen? Gerade Menschen mit Kindern oder die mit wenig Zeit sehen da partout keinen Weg. Mit anderen Worten: Alle.
Dabei gibt es ihn. Schnell, günstig und weit. Es gibt den Weg, auf dem ihr sogar ganz neue Urlaubserfahrungen sammeln könnt. Innerhalb kurzer Urlaubsphasen, mit wenig Geld und wenig Stress. Außerdem könnt ihr die ganze Fahrt über blau sein. Ja richtig, all das geht ganz easy mit dem Zug.
Wie das geht, habe ich selbst erst kürzlich auf einem Wochenendstrip erfahren. Das Zeitpensum: Exakt drei Tage netto. Ziel: Bologna in Norditalien. Hämisches Grinsen stand meinen erleichterten Arbeitskollegen schon bei diesem ersten Satz meiner Erzählung im Gesicht. „Ach ja, siehste! Der Öko fliegt mal wieder!“ Wie falsch sie lagen. Die Reisezeit von 10 Stunden im Zug gehörte zum schönsten Teil des gesamten Trips.
Warum? Deswegen:
Zugreisen bringen euch direkt ins Stadtzentrum
Seid ihr schon einmal aus dem Flugzeug ausgestiegen und dann, erstaunt über die Schönheit der Altstadt, erstmal einen Wein trinken gegangen?
Aus gutem Grund wurden Flughäfen an den Stadtrand oder besser noch an irgendeinen armen Ort weiter draußen verbannt. Flugzeuge liefern zwar Touristen und Businesspeople, aber sie sind eben auch verdammt laut. Mit dem Zug dagegen beamt ihr euch direkt ins Herz der Stadt. Auf einen Schlag erspart ihr euch außerdem Checkins, furchteinflößende Start- und Landephasen, das Gepäckabholen, aufgeblähte Sicherheitskontrollen und lange Fahrten mit der S-Bahn dorthin, wo ihr eigentlich hinwolltet.
Mit dem Zug fahrt ihr viel flexibler ab und reist auch zurück, wann ihr wollt
Auf der Hinreise mag das ja noch gehen: in aller Herrgottsfrühe aufstehen, voller Vorfreude mit der S-Bahn zum Flughafen, sich dort zum richtigen Gate durchkämpfen und all das, um dann mittags schon wieder in der S-Bahn zu sitzen um zum Hotel zu fahren. Spätestens bei der Rückreise macht das alles keinen Sinn mehr: Das verpasste Frühstück im Hotel, schon wieder in aller Herrgottsfrühe mit der S-Bahn zum Flughafen.
In Europa sind wir mit einem vernünftigen Zugnetz gesegnet und die Wagen fahren in aller Regel mehrfach am Tag ab. Ihr könnt also auch sagen: „Nein, ich mach da nicht mehr mit: Meinen letzten Urlaubstag stehe ich erst mittags auf, ess‘ nochmal eine gute Pizza und fahre dann schön gemütlich nach Hause.“
Im Zug habt ihr deutlich mehr Komfort
Es gibt viele Menschen, die horrende Summen dafür zahlen, um im Flugzeug einen bequemen Sitz mit Beinfreiheit ergattern zu können. In der ersten Klasse fliegen zu wollen, ist auch kein abwegiger Wunsch angesichts der Zustände in einem normalen Flugzeug. Enge Reihen, wenig bis ausbleibende Beinfreiheit und nervige Werbung liegen auf Busniveau.
Im Zug dagegen sitzt ihr auch in der zweiten Klasse schon bequem wie im Wohnzimmer. Mit etwas Glück habt ihr sogar eine ganze Kabine für euch! Gerade auf wenig populären Strecken ist das keine Seltenheit und ihr habt einen exklusiven Komfort, von dem selbst Erste-Klasse FliegerInnen nur träumen können.
Vertretet euch die Beine oder geht was Essen im Bordbistro
Auf langen Fahrten kann das Sitzen auch im bequemsten Wohnzimmersessel schon mal ungemütlich werden oder noch schlimmer: Die Chips und das Bier gehen euch aus. In der Regel gibt es dafür aber eine wunderbare Lösung. Der Besuch im Bordrestaurant kann eine Zugfahrt veredeln wie ein paar Schokostreusel auf einer Kugel Joghurt-Minze-Eis.
Riesige Fenster eröffnen einen fulminanten Blick auf die Strecke und bestenfalls gibt es sogar noch etwas Gutes zu Essen. Fast immer zumindest ein paar Nüsse und Wein oder Bier. Damit vergeht die Zeit sogar im Zug wie im Flug und noch besser als das: Sie wird schon zum Teil des Urlaubs, auch wenn es sich vorher vielleicht noch nicht so anfühlte.
Das Essen im Zug ist um Längen besser als im Flugzeug
Je nachdem in welchem Land ihr reist: Einige Bordrestaurants verfügen über eine respektable Küche. In einem Flieger ist daran überhaupt nicht zu denken. Nicht nur, dass es dort im Umkreis von Tausenden Metern gar keine Küche gibt. Dort oben, da wird noch am Platz gegessen! Die sind eng, unbequem und den tollen Blick aus dem Fenster gibts auch nicht.
Jetzt kommen wir wieder zum Zug. Besonders empfehlenswert sind die polnische und die tschechische Bahn. Denn die bereiten das Essen tatsächlich weitgehend frisch zu, dafür ist es ziemlich fleischlastig. Wenn es kein vernünftiges Bordrestaurant gibt auf eurer Verbindung, das Ticket verrät es euch vorab, könnt ihr euch einfach mit sorgfältig ausgewähltem Proviant vorher ausrüsten. Auch das wird euch niemand abnehmen – es sei denn ihr habt nette Sitznachbarn.
Ihr seht Landschaften und Orte, die ihr sonst verpassen würdet
Auf einer Zugreise von München nach Bologna überquert ihr die Alpen und werdet beobachten können, wie sich die Berge neben euch majestätisch auftürmen, bis ihr euch in schneebedeckten Gipfellandschaften wiederfindet. Wenn ihr von Dresden nach Prag fahrt, staunt ihr über die Elbe und ihre süßen kleinen Dörfer neben skurrilen Felsformationen.
Zugfahrten offenbaren euch die Welt, die ihr im Flieger verpasst. Selbst auf weniger spektakulären Strecken werdet ihr immer wieder wundervolle Landschaften an euch vorbeirollen sehen. Das ist alles nicht vergleichbar mit Autobahnfahrten, da Zugstrecken nicht weggesperrt werden müssen. Sie entführen euch in die Schönheit der Provinz, der kleinen Dörfer und Bahnhöfe fremder Städte. Nicht selten wird euer mitgebrachtes Buch irgendwann neben euch liegen, wenn ihr träumend aus dem Fenster schaut. Ein charmanter Nebeneffekt: Ihr gewöhnt euch an die Ferne und erreicht den Zielort schön eingegrooved.
Verspätungen und verpasste Anschlüsse können zu einem kleinen Abenteuer
führen
Verspätungen können zur Folge haben, dass ihr den Zug in eurer Verbindung verpasst und dann erst einmal irgendwo festsitzt. Aber ganz oft wird genau das zum Glücksfall. Zumindest, wenn man sich darauf einlässt. Denn im Gegensatz zum Flugzeug, bei dem ihr dann erst einmal im Flughafen eingesperrt seid, stellt der Bahnhof ein Portal zu einer euch womöglich bislang völlig unbekannten Stadt dar. Das ist ein großer Vorteil: Stellt euch vor, ihr nutzt die Verspätung für die Erkundung, einen Restaurantbesuch oder ein Museum. Vielleicht ist die Zwischenstation sogar spannender als eurer Ziel? Gerade weil es eine Überraschung ist.
Ihr seid nervigen Sitznachbarn nicht schutzlos ausgeliefert
Die Plätze im Flugzeug sind fest vergeben und so können unangenehme Mitmenschen einem schon einmal die Reise verderben. Im Zug dagegen gibt es so gut wie immer Chancen, solchen Situationen zu entkommen.
Selbst bei vollem Zug könnt ihr euch entweder selbst noch einmal auf die Suche begeben oder taktisch klug eine SpäherIn losschicken, die oder der dann angrenzende Abteile durchkämmt. Mit einer Jacke lässt der gefundene Platz sich leicht markieren und dann in einer konzertierten Aktion übernehmen. Tschüss, nerviges KunststudentInnenpaar!
Eure Reiseziele liegen nicht mehr im Fadenkreuz des Massentourismus
Wie schön Venedig doch auf den Bildchen im Web aussieht und wie geschmeidig sich der Sand an der Küste Portugals entlangzieht. Die Realität sieht oft anders aus und mal ganz ehrlich: Das wissen wir sogar schon vorher. Trotzdem fahren wir hin und sind dann verärgert. Es ist wie Burgeressen bei McDonald’s: we‘ll never love it.
Der Massentourismus wird von Flugzeugen und Kreuzfahrtschiffen transportiert, viele Orte sind nur deswegen so überlaufen, weil Billigflieger sie massenweise ansteuern. Wenn ihr mit dem Zug unterwegs seid, könnt ihr diesem Schema ein Schnippchen schlagen. Ihr kannst dann Städte bereisen, die auf der Landkarte vieler Tourismusunternehmen gar nicht vorkommen. In Bologna zum Beispiel habe ich an einem ganzen Wochenende kein einziges Mal „Guten Tag“ gehört. Es war, wie in einem anderen Land zu sein.
Ihr schont das Klima: Eine Reise mit dem Zug verursacht 88 Prozent weniger CO2
Wer heute mit dem Flugzeug reist, hat das schlechte Gewissen oft gleich mit im Gepäck. Eine Hin- und Rückreise von Hamburg nach München schlägt beim ICE mit 37,4 Kilogramm CO2 pro Person zu Buche, während es mit dem Flieger satte 310 sind. Als Umweltschützer wird sich deswegen niemand aufspielen müssen, genauso wenig wie eine Fliegende oder ein Fliegender zwingend eine Umweltsau sein muss.
Mit dem Zug seid ihr etwas weniger stark daran beteiligt, den Planeten zu zerstören und die Chancen stehen gut, dass ihr an eurem Ziel nicht zum Problem des Overtourism beitragt. Außerdem kommt ihr einfach viel entspannter an. Und darum geht’s doch, oder?