Anja Kühn ist Make-up Artist, Hairdesignerin und Inhaberin von Lookunik Brautstyling. Im Interview berichtet sie, wie sie als Mama und Unternehmerin gerade in schwierigen Phasen gewachsen ist – und warum Styling für sie nicht nur mit Ästhetik, sondern auch mit Empowerment verbunden ist.
Anne: Liebe Anja, was ist für dich das Wichtigste, dass du persönlich gelernt hast, seitdem du Mama und Unternehmerin bist?
Anja: In erster Linie habe ich gelernt, auf meine Intuition zu hören. Gefühlt wurde während der Geburt meiner ersten Tochter ein Mama-Schalter bei mir umgelegt, der Superkräfte aktiviert hat. Jede Mama weiß ganz genau was ich meine: Du kannst plötzlich auf 0,3 Grad genau sagen, wie warm das Badewasser ist, ob dein Kind etwas ausbrütet oder was es gerade braucht. Ich habe gelernt, dass nur ich (bzw. wir als Eltern) wissen, welcher der richtige Weg für uns ist und dass absolut niemand Außenstehendes auch nur ansatzweise beurteilen kann, ob das richtig oder falsch ist. Wie jede Mama habe auch ich ungefragt hunderte gut gemeinte Ratschläge bekommen. Der einzig hilfreiche war: Hör auf dein Gefühl, alles andere sind nur die Wege der anderen, die man sich anhören und annehmen oder als Anekdote abtun darf.
„Mich auf meine Intuition zu verlassen, war auch als Unternehmerin für mich ein Gamechanger.“
Bevor ich Kinder hatte, war ich sehr verkopft. Ich habe meine Ziele Schritt für Schritt geplant und es fühlte sich oft schwer an. Ich lasse es mittlerweile viel mehr fließen. Meine Ziele sind nicht weniger und nicht kleiner geworden, aber die Herangehensweise hat sich grundlegend verändert. Ich formuliere klarer und habe Vertrauen, dass mir in der richtigen Sekunde genau die richtige Idee kommen wird.
Anne: Inwiefern hat deine Erfahrung als Mutter dein Denken und Handeln als Unternehmen transformiert? Fallen dir dazu konkrete Beispiele aus dem Alltag ein?
Anja: Ich bin effizienter, klarer und selbstsicherer denn je! Als Mutter habe ich immer die Uhr und das Telefon im Blick. Unnötige Tätigkeiten lasse ich weg oder delegiere sie weiter. Ich habe keine Zeit für sinnlosen Kram und keine Kapazitäten mich zu verzetteln. Schließlich muss ich zu bestimmten Zeiten in der Schule, der Kita, beim Kindersport usw. sein und bis dahin hat das Tagesziel erreicht zu sein.
Auch als Inhaberin der Agentur Lookunik Brautstyling habe ich seither ein ganz anderes Auftreten: Ich bin sowohl mit Kund*innen als auch mit meinen Stylistinnen einerseits glasklar in meiner Kommunikation, andererseits aber auch verständnisvoll, unterstützend und wertschätzend. Diese Kombination bekomme ich als sehr positiv gespiegelt und ich führe das auf meine Kinder zurück. Als Mama kann ich mir keine Zweideutigkeiten erlauben, auch wenn ich jedes Wehwehchen verstehe und geduldig wegpuste.
„Das Selbstbewusstsein, das sich aus gelebter und geliebter Mutterschaft zwangsläufig ergibt, hilft mir in allen Bereichen. Niemand verhandelt konsequenter und gleichzeitig liebevoller als Mütter.“
Zwei wichtige Punkte sind noch dazu gekommen: ich bin nachhaltiger geworden und denke pausenlos auch an die Zukunft unserer Töchter. Als Make-up Artist/ Hairdesignerin verbrauche ich natürlich auch einiges an Material. Sicher war mir Tierversuchsfreiheit auch vor den Kindern schon wichtig, aber in letzter Konsequenz habe ich das Thema erst danach zu Ende gedacht. Ich arbeite ausschließlich mit veganen und Cruelty free Firmen zusammen. Und ich bin gerade dabei einen Make-up Kurs für 14- bis 15-Jährige zu entwickeln. Nicht weil ich will, dass sie sich schminken, sondern weil in dem Alter das Interesse dafür immens groß ist. Ich möchte, dass die Teens von Anfang an lernen, wie man Produkte bewusst wählt, die Haut vernünftig pflegt und noch wichtiger: Dass Make-up NICHT bedeutet, sich einem Ideal anzupassen, sondern Individualität zu leben. Mir ist dabei wichtig, dass sich das Mädchen bewusst ins Gesicht blickt und feststellt, dass es schön ist mit all seinen Eigenschaften. Sowas in der Art hätte ICH als Teenager gebraucht und wünsche meinen Töchtern, dass sie sich selbst von Anfang an lieben können.
Anne: Aus welchen schwierigen und schmerzhaften Erfahrungen konntest du in diesem Prozess Krafft ziehen? Wie ist dir das gelungen?
Anja: Meine kleine vierjährige Tochter ist ganz kurz vor dem ersten Corona-Lockdown geboren. Ich glaube ALLE Eltern können nachvollziehen, welche Grenzerfahrung das war. Ich war mit einem drei Monate jungen Baby, einem Vorschulkind und dem Hund meiner Schwiegermama zu Hause. Mein Mann hat in dieser Zeit Überstunden gemacht und war gefühlt nur zum Schlafen da. Alle Lookunik Hochzeiten wurden verschoben, abgesagt oder wurden komplett neu geplant. Wir durften erst gar nicht arbeiten, dann konnte ich beim Gesundheitsamt Sondergenehmigungen für Foto- und Videoproduktionen erwirken.
„Ich war rund um die Uhr ,on‘. Und eigentlich hat das bis heute auch nicht aufgehört, aber heute bin ich ganz anders organisiert, bis zum Kinn digitalisiert und ziehe bewusster die Reißleine.“
Ich plane mir Me-time ein. Ich gehe zum Beispiel immer mittwochs zum Sport – Bodycombat und Bodybalance. Das powert mein Adrenalin raus und bringt mich anschließend in eine Tiefenentspannung. Außerdem habe ich Meditation zum Einschlafen und Breathwork für mich entdeckt. Ich würde sagen, dass ich heute in der Energie meines Lebens bin. Trotz oder sogar wegen der Kinder bzw. meiner Familie und der Selbständigkeit.
Anne: Was war für dich ein Schlüsselmoment?
Anja: Die Pandemie bedrohte die Existenz von uns Makeup Artisten massiv. Einige suchten sich Festanstellungen und waren fürs Team nicht mehr verfügbar. Die Regeln ließen uns entweder gar nicht oder nur unter sehr harten Bedingungen arbeiten. Im Team selbst gab es, wie überall, starke Meinungsverschiedenheiten. Niemand war digitalisiert. Ständig war jemand in Quarantäne und musste vertreten werden. Ich erinnere mich sehr gut an folgende Situation: Ich hatte das Baby im Tragetuch, das Mittagessen auf dem Herd, die große Tochter malend neben mir und ich hatte den Laptop auf dem Küchentisch und hatte schon den halben Tag telefoniert. Eigentlich war ich müde. Und dennoch habe ich es irgendwie geschafft, dass das Team nicht auseinandergebrochen ist. Ich habe bewusst geatmet, zu Hause kleine Rituale etabliert und mich zu 100% auf mein Bauchgefühl verlassen. Planen konnte man ja eh nicht. Erst viel später meinte eine Kollegin dann mal zu mir, dass sie genau in dieser Situation nochmal eine ganz andere Form von Respekt für mich entwickelt hat. Es war mir nicht bewusst, aber in der Zeit bin ich über mich hinausgewachsen.
Anne: Welche Gedanken möchtest du den Menschen, die unsere Ausstellung besuchen, mitgeben.
Anja: Du bist gut genug. Vertraue dir selbst, denn du hast bereits jetzt alles, was du brauchst. Du bist dazu gemacht, ein glückliches, erfolgreiches, liebevolles Leben zu führen. Jede Herausforderung, die dir begegnet ist nur dazu da um dir vor Augen zu führen wie stark, klug und wunderbar du bist. Genieße jeden einzelnen Moment. Auch die schwierigen.
Dieser Beitrag ist Teil des Ausstellungsprojektes MAMA MAGMA von unserer Kolumnistin Anne Schwerin über Frauen, die Unternehmerinnen bzw. Selbständige und Mamas sind. Im Mittelpunkt des Projektes steht die Frage, wie die Erfahrung der Mutterschaft unternehmerisches Handeln transformiert. Alle Bilder der Ausstellung sind vom 21. August bis 15. November 2024 frei zugänglich im Foyer der IHK zu Leipzig zu sehen. Zu den Beiträgen der weiteren Frauen geht es hier.