Michelle Ziegelmann ist seit 12 Jahren selbständige Autorin und seit fünf Jahren Mama einer kleinen Tochter. Mit ihrem neuen Projekt „Neuseenkraut“ hat sie sich einen Traum verwirklicht und gibt auf ihrem Drei-Seiten-Hof im Süden von Leipzig seit 2024 eigene Kräuterworkshops.
„Ich bin auch der großen Lüge erlegen, ich könnte beides. Mittlerweile glaube ich, man schwindelt uns an, damit überhaupt noch eine Kinder bekommt.“ Mit diesem Satz erwischt mich meine Freundin eiskalt. Er trifft mich, wie ein dumpfer Schlag. „Eine gute Mutter und eine erfolgreiche Karrierefrau sein – das geht nicht. Wer das Gegenteil behauptet, lügt.“ Noch lange nach dem Telefonat wirkt in mir das Gefühl nach, was mit diesen Worten auf mich übergeht. Frustration. Sie klang so hart, frustriert, ernüchtert und abgeklärt. Eine junge Frau, die mir sagt, dass sie schon mit einigen Bereichen ihres Lebens abgeschlossen hat, weil sie ein Kind hat.
Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir die Kombination aus Mutterschaft und Arbeitsleben auch anders vorgestellt.
„Solange ich denken kann, lebe ich beruflich nach dem Motto „wird schon irgendwie“. Die einen würde es naiv und blauäugig nennen, ich optimistisch.“
Ich habe mich auf Jobs beworben, die ich gar nicht konnte und viel wegimprovisiert. Kann doch nicht so schwer sein, dachte ich. Immerhin habe ich so 12 Jahre Selbständigkeit als Autorin, Texterin und Kreative in der Werbung gemeistert. Das hat nicht so gut funktioniert, weil ich ein intellektueller Überflieger bin, sondern weil mein Leben einfach nicht sonderlich kompliziert war, als Single in einer Einraumwohnung.
Die Selbstständigkeit hatte für mich ähnliche Vorteile wie das Singledasein.
Als damit Schluss war und ich mit Mann und Kind aufs Land zog, änderte sich alles. Ich startete kurz den Versuch in einer Anstellung zu arbeiten, weil alle sagen, man bräuchte Sicherheit als Mama, warf das aber wieder über Bord und stürzte mich in das Bad der Möglichkeiten, die mir Selbstständigkeit immer bot. Die einen würden auch das naiv und blauäugig nennen, ich wiederum optimistisch. Der Plan ging nicht auf.
„Der intensive Betreuungsaufwand machte es mir unmöglich, irgendwelche Verbindlichkeiten für meine Kunden einzuhalten. Ich war eine laufende Katastrophe aus Entschuldigungen und Aufschieberei. Auch ich hätte so nicht mit mir gearbeitet.“
Die Popsängerinnen Lily Allen bringt es in einem Interview auf den Punkt: „Ich liebe meine Kinder, aber sie haben meine Karriere ruiniert.“ Lily scheint genauso frustriert zu sein, wie meine Freundin. Ich sehe das inzwischen folgendermaßen: Ja, ich kann nicht mehr weitermachen wie zuvor. ABER, und jetzt kommts:
Wen hat es je vorangebracht, weiterzumachen wie bisher?
Durch mein Kind und diesen massiven Einschnitt in mein Leben bin ich gezwungen, mich in einer Weise zu ändern und umzudenken, wie ich es in 20 Jahren Selbstständigkeit nie geschafft hätte. Mein Gehirn hat ein Upgrade gefahren, welches mich heute bei Problemen oft nur lachend zurücklehnen lässt. Und obwohl ich nun – fünf Jahre nach der Geburt – wieder Kapazitäten habe, schreckt es Kunden gelegentlich ab, wenn ich sage, dass ich Mutter bin und nicht 24 Stunden am Tag für den Job erreichbar.
„Ich nehme mir heraus, nur noch für Menschen zu arbeiten, die sehen wie viel besser mich das Muttersein gemacht hat.“
Es hat mich anderen Frauen nähergebracht, es hat mich rücksichtsvoller gemacht und mir ein starkes Rückgrat verschafft.
Heute trefft ihr die wahrhaftigste und stärkste Version von mir selbst.
Diese Version hat nebenbei ein Fernstudium absolviert und gibt jetzt noch Heilpflanzen-Workshops auf ihrem Bauernhof bei Leipzig, weil ich im Bad der Möglichkeiten, die uns Selbstständigkeit bietet, immer noch schwimmen will. Und zum ersten Mal tauche ich richtig ein. Das Leben ist stressig und häufig komme ich kaum zum Luft holen, aber es ist nie langweilig.
„Und jetzt kurz Tacheles: Diesen Text hier, habe ich mehrfach umgeschrieben, weil ich nicht wollte, dass das zu einem Beschwerdebrief über die Gesellschaft wird. Nicht noch einer.“
Denn grundsätzlich haben meine Freundin, Lily Allen und all die anderen recht. Ich sehe so viele tolle Mütter. Ich sehe sie und sie pfeifen alle auf dem letzten Loch. Sie rennen durchs Leben. Den ganzen Tag versuchen sie, es anderen recht zu machen: Arbeitgeber, Partner, Kind. Sie hangeln sich durchs Jahr mit der Aussicht auf den einen Urlaub oder den einen Abend, den sie sich mal gönnen. Wenn ich noch einmal das Wort „Date-Night“ lese, kotze ich.
Es ist falsch, dass man uns suggeriert, dass wir das alles schaffen können.
Denn die Enttäuschung, das Ende dieser Täuschung, tut weh. Vereinbarkeit ist das Unwort überhaupt. Kinder und Karriere sind nichts, was man vereint. Man macht dann maximal beides halb oder wenigstens eine Seite muss zurückstecken. Aber mal ehrlich: Wie gesund ist es für ein Kleinkind, ständig abgegeben und wegorganisiert zu werden? Wir tun das, weil man uns sagt, dass wir das wollen sollen. Aber wir tun das mit einem schlechten Gewissen, um den Titel „Powerfrau“ zu erlangen. Noch so ein Unwort.
Ich „verdiene“ – „bekomme“ wäre korrekt – heute deutlich weniger Geld als vorher und arbeite viel, viel mehr. Die Mehrheit sieht das nicht und es bringt mich nicht weiter, das zu bejammern. Geld ist nicht mehr meine Anerkennung. Ich brauche es, aber es bemisst nicht mehr meinen Wert.
„Liebe Mütter, wann immer ihr könnt: Rennt ein bisschen langsamer durchs Leben und schaut euch um. DAS lohnt sich wirklich.“
Ich blicke dann in die leuchtenden Augen meiner Tochter, die nach einem langen Tag endlich ihre Mama in die Arme schließt. In dem Moment bleibe ich stehen. Ich entscheide mich gegen den großen Job und für den kurzen Wimpernschlag namens Kindheit. Ich entscheide mich sehenden Auges für eine drohende Altersarmut, aber auch für mein laut pochendes Mutterherz. Die einen würden es naiv und blauäugig nennen, ich nenne es weiterhin optimistisch. Wird schon alles werden. Wird es?
Dieser Beitrag ist Teil des Ausstellungsprojektes MAMA MAGMA von unserer Kolumnistin Anne Schwerin über Frauen, die Unternehmerinnen bzw. Selbständige und Mamas sind. Im Mittelpunkt des Projektes steht die Frage, wie die Erfahrung der Mutterschaft unternehmerisches Handeln transformiert. Alle Bilder der Ausstellung sind vom 21. August bis 15. November 2024 frei zugänglich im Foyer der IHK zu Leipzig zu sehen. Zu den Beiträgen der weiteren Frauen geht es hier.